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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Frage im Kopf herum, ob es danach mit dir als Künstler nicht bergab gehen würde.
    Zwei oder drei Nächte später war Vollmond. Verzaubert von der sanften Helligkeit, die vom Himmel herabströmte,richtete er sich über dem Körper von Teha’amana auf – sie atmete tief, mit einem rhythmischen, leisen Schnarchen – und ging auf den freien Platz hinunter, der das Haus umgab, Pape moe in den Armen. Er betrachtete es in der bläulichgelben Helligkeit, die dem See mit seinen Wasserpflanzen, die ebensogut Lichter, Reflexe sein konnten, eine rätselhafte Patina verlieh. Auch die Natur war androgyn auf dem Bild. Du neigtest nicht zu Gefühlsseligkeit, du mußtest immun gegen sie sein, um die Grenzen dieser verfallenen Zivilisation überschreiten und dich eins fühlen zu können mit den alten Traditionen, aber jetzt spürtest du, wie deine Augen feucht wurden. Es war eines der besten Bilder, die du gemalt hattest, Paul. Noch nicht ein Meisterwerk, wie Manao tupapau , wenn ihm auch nicht viel dazu fehlte. Was der verrückte Holländer damals in Arles, in jenen letzten Herbsttagen 1888, bevor die Mischung aus Liebe und Hysterie ihrer Beziehung den Garaus machte, so oft mit tiefer Überzeugung gesagt hatte, nämlich daß die wahre Revolution in der Malerei nicht in Europa stattfinden würde, sondern weit entfernt, in den Tropen, dem Schauplatz des Romans, der beide fasziniert hatte – Rarahu, Le mariage de Loti von Pierre Loti –, war das nicht in Pape moe überwältigende Wirklichkeit geworden? In diesem Bild lag Kraft, eine geistige Stärke, die der Unschuld und Freiheit entstammte, mit denen ein Primitiver die Welt sah, der nicht eingeengt war durch die Scheuklappen der westlichen Kultur.
    An dem Abend im Winter 1887, an dem Paul den verrückten Holländer im Grand Bouillon, Restaurant du Chalet , an der Avenue de Clichy kennengelernt hatte, erlaubte Vincent nicht einmal, daß Paul ihn zu den ausgestellten Bildern beglückwünschte. »Ich muß Sie beglückwünschen«, sagte er, während er ihm kraftvoll die Hand drückte. »Ich habe zu Hause bei Daniel de Monfreid Ihre Bilder aus Martinique gesehen. Großartig! Sie wurden nicht mit dem Pinsel, sondern mit dem Phallus gemalt. Bilder, die Kunst und Sünde zugleich sind.« Zwei Tage spätererschienen Vincent und sein Bruder Theo bei Schuffenecker, wo Paul wohnte, seitdem er von seinem mit Freund Laval geteilten Abenteuer in Panama und Martinique zurückgekehrt war. Der verrückte Holländer betrachtete die Bilder aus allen Blickwinkeln und befand: »Das ist große Malerei, sie kommt aus dem Bauch, aus dem Blut, wie das Sperma aus dem Geschlecht.« Er umarmte Paul und sagte: »Auch ich möchte mit dem Phallus malen. Bringen Sie es mir bei, mein Bruder.« So begann ihre Freundschaft, die so übel enden sollte.
    Der verrückte Holländer hatte mit einer seiner genialen Eingebungen den Nagel auf den Kopf getroffen, eher als du, Paul. Es stimmte. Bei diesem leidvollen Aufenthalt, zunächst in Panama, dann in der Umgebung von Saint-Pierre, auf Martinique, von Mai bis Oktober 1887, hattest du dich in einen Künstler verwandelt. Vincent war der erste, der es erkannte. Was machte es angesichts dessen schon, daß es ihm schlecht ergangen war, daß er sich als Tagelöhner bei den Bauarbeiten des Kanals von Monsieur de Lesseps von den Moskitos hatte zerstechen lassen und auf Martinique beinahe an Ruhr und Malaria gestorben wäre? Es war die Wahrheit: Mit den Bildern von Saint-Pierre, die erleuchtet wurden von der prachtvollen Sonne der Karibik und auf denen die Farben wie reife Früchte explodierten, deren Rot-, Blau-, Gelb-, Grün- und Schwarztöne mit der Wildheit von Gladiatoren um die Vorherrschaft auf dem Bild kämpften, brach das Leben endlich wie eine Feuersbrunst in deine Malerei ein, läuterte sie, erlöste sie von dieser Verzagtheit, mit der du bislang an deine Bilder und Skulpturen herangegangen warst. Obwohl du beinahe vor Hunger und Krankheit gestorben wärst, während du dir in einer Hütte, durch deren Palmblätterdach der Regen tropfte, die Seele aus dem Leib arbeitetest, hattest du auf dieser Reise tatsächlich begonnen, dir die Schlieren aus den Augen zu reiben und klar zu sehen: Nur die Flucht aus Paris, auf der Suche nach einem neuen Leben unter anderen Himmeln, führte zur Gesundung der Malerei.
    Wie das Licht in seine Bilder brach auch die Sexualität mit unwiderstehlichem Impetus in sein Leben ein und fegte sämtliche Vorbehalte und Vorurteile hinweg, die sie

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