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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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mit leicht männlichen Gesichtszügen – Paul, Paul! –, und sie im November 1873 auf dem Standesamt des neunten Arrondissements und in der lutheranischen Erlöserkirche geheiratet. Und sie hatten ein sehr bürgerliches Leben in einer sehr bürgerlichen Wohnung begonnen, in einer Gegend, die der Gipfel der Bürgerlichkeit war: die Place de Saint-Georges. So wenig wichtig war damals noch für Paul das Sexuelle, daß er in diesen ersten Zeiten seiner Ehe nichts dagegenhatte, der Schamhaftigkeit seiner Frau Genüge zu tun und sie so zu lieben, wie die lutheranische Moral es gebot: Mette in ihren langen, zugeknöpften Nachthemden und im Zustand völliger Passivität, ohne sich eine Kühnheit, eine Koketterie, einen Spaß zu erlauben, als wäre der Umstand, von ihrem Mann geliebt zu werden, eine Pflicht, mit der sie sich ebenso abfinden mußte, wie der an Verstopfung leidende Patient sich damit abfindet, Rizinusöl zu schlucken.
    Erst später, als Paul, noch ohne die Agentur von Paul Bertin zu vernachlässigen, seine Abende damit verbrachte, alles und mit allem zu malen – Bleistift, Kohle, Wasserfarben, Öl –, und seine Phantasie Bilder fand und erfand, die sich malerisch umsetzen ließen, wurden seine Nächte auf einmal unruhig vor Begehren. Fortan erbat oder forderte er von Mette Freiheiten im Bett, die sie empörten: sie solle sich ausziehen, für ihn Modell stehen, ihr Intimstes preisgeben, es liebkosen und küssen lassen. Die Folge waren bittere eheliche Auseinandersetzungen gewesen, erste Schatten auf dieser harmonischen Familie, die sich jedes Jahr um ein Kind vermehrte. Doch trotz der Widerstände der Wikingerin und trotz des wachsenden sexuellen Verlangens, das ihn anfiel, betrog er seine Frau nicht. Er hatte keine Geliebten, besuchte keine Freudenhäuser, hielt keine kleinen Näherinnen aus wie seine Freunde und Kollegen. Er suchte die Lüste, die die Wikingerin ihm vorenthielt, nicht außerhalb des ehelichen Lagers. Noch Ende 1884, mit sechsunddreißig Jahren, als sein Leben bereits eine entscheidende Wende erfahren hatte und er entschlossen war, Maler und nichts als Maler zu sein und niemals wieder zu den Geschäften zurückzukehren, als der langsame Niedergang eingesetzt hatte, der ihn in die Misere führen sollte, war er Mette Gad noch immer treu. Zu jener Zeit war alles Sexuelle ihm zur fixen Idee, zur ständigen Sehnsucht, zur Quelle kühner, barock übersteigerter Phantasien geworden. In dem Maße, wie sein bürgerliches Leben sich in das eines Künstlers verwandelte – Geldmangel, Ungebundenheit, Risiko, schöpferische Arbeit und Unordnung –, gewannes Herrschaft über seine Existenz, als Quelle der Lust, aber auch als Befreiung von alten Fesseln, als Eroberung einer neuen Freiheit. Der Verzicht auf die bürgerliche Sicherheit hatte schwere Zeiten für dich zur Folge, Paul. Aber er eröffnete dir ein Leben, das für die Sinne und den Geist intensiver, reicher, ja geradezu ein Luxus war.
    Und jetzt hattest du einen weiteren Schritt in Richtung Freiheit getan. Vom Leben des Bohemiens und Künstlers zum Leben des Primitiven, des Heiden und Wilden. Ein großer Fortschritt, Paul. Jetzt war Sexualität für dich nicht eine raffinierte Form geistiger Dekadenz wie für so viele europäische Künstler, sondern eine Quelle der Energie und der Gesundheit, eine Form, dich zu erneuern, die Bereitschaft, den Elan und den Willen zu stärken, ein besserer Künstler zu sein, ein besseres Leben zu führen. Denn in der Welt, in die du nun endlich Eingang fandest, war das Leben eine fortlaufende Schöpfung.
    Er hatte all das durchleben müssen, um ein Bild wie Pape moe schaffen zu können. Es waren keine Retuschen nötig. Auf dem Gemälde war die Photographie von Charles Spitz zu flimmerndem, vibrierendem Leben erwacht; der Androgyne und die Natur waren nicht unabhängig voneinander, sie verschmolzen zu einer neuen Form pantheistischen Lebens; Wasser, Blätter, Blüten, Zweige und Steine glühten wie von innen, und die menschliche Gestalt besaß etwas Hieratisches, Elementares. Die Haut, die Muskeln, das schwarze Haar, die kräftigen, sicher auf den moosbedeckten Felsen ruhenden Füße ließen Respekt, Ehrfurcht, Liebe für dieses Wesen einer anderen Zivilisation erkennen, die, obwohl von den Europäern kolonisiert, tief verborgen in den Wäldern die uralte Reinheit bewahrte. Es machte dich traurig, daß du Pape moe beendet hattest. Wie immer, wenn du einer guten Arbeit den letzten Pinselstrich gabst, ging dir die

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