Das Paradies ist anderswo
eines Victor Considérant, der seit dem Tod des Meisters im Jahre 1837 die Bewegung führte. Ihre Erbsünde, die zwischen dir und ihnen einen unüberbrückbaren Abgrund schuf, war die gleiche wie bei den Saintsimonisten: Sie glaubten nicht an eine von den Opfern des Systems gemachte Revolution. Beide mißtrauten sie diesen unwissenden, elenden Massen und behaupteten mit engelhafter Unschuld, daß die Reform der Gesellschaft kraft des guten Willens und des Geldes der von ihren Theorien erleuchteten Bürger zustande käme.
Es hatte etwas Gespenstisches, daß Victor Considérant und die Seinen noch immer, im Jahre 1844, überzeugt davon waren, daß sie die Handvoll Reichen für ihre Sache gewinnen konnten, die, einmal zum Phalanstère-System bekehrt, »die sozietäre Revolution« finanzieren würden. Der Begründer Charles Fourier hatte 1826 mittels Presseanzeigen in Paris bekanntgegeben, er werde jeden Tag zwischen 12 und 14 Uhr in seiner Wohnung in der Rue de Saint-Pierre in Montmartre erreichbar sein, um seine sozialen Reformpläne jedem edelmütigen, gerechtigkeitsliebenden Industriellen oder Rentier zu erklären, der bereit wäre, siezu finanzieren. Elf Jahre später, am Tag seines Todes 1837, erwartete der liebenswürdige kleine Alte mit seinem ewigen schwarzen Gehrock, seiner weißen Krawatte und seinen gütigen blauen Augen – es machte dich traurig, an ihn zu denken, Andalusierin – noch immer pünktlich von 12 bis 14 Uhr den Besuch, der niemals kam. Nie! Nicht ein einziger reicher Mann, nicht ein einziger Bürger machte sich die Mühe, ihn aufzusuchen und ihm Fragen zu stellen oder seinen Plänen zuzuhören, wie er dem menschlichen Unglück ein Ende machen wollte. Und keine der Persönlichkeiten, an die er Briefe schrieb, in denen er um Unterstützung für seine Pläne bat – Bolívar, Chateaubriand, Lady Byron, Doktor Francia in Paraguay, sämtliche Minister der Restauration und Louis-Philippes –, ließ sich zu einer Antwort herab. Und die Phalanstère-Anhänger, blind und taub, vertrauten weiter auf die Bürger und mißtrauten den Arbeitern!
In einem plötzlichen Anfall von rückwirkender Empörung beim Gedanken an den armen Charles Fourier, der im Herbst seines Lebens jeden Mittag vergeblich in seiner bescheidenen Wohnung saß, änderte Flora das Thema ihres Vortrags. Sie unterbrach ihre Ausführungen über die Funktionsweise der künftigen Arbeiterpaläste, um ein psychologisches Porträt des zeitgenössischen Bürgers zu zeichnen. Sie bemerkte mit Vergnügen, daß ihre Zuhörer, während sie erklärte, daß der Unternehmer im allgemeinen des Großmuts ermangele, einen engstirnigen, schäbigen, furchtsamen, gewöhnlichen und ruchlosen Geist habe, sich unruhig auf den Sitzen bewegten, als wäre eine Schwadron Läuse über sie hergefallen. Als die Reihe an die Fragen kam, herrschte eisiges Schweigen. Schließlich erhob sich der Besitzer einer Möbelfabrik, Monsieur Rougeon, jung noch, aber schon mit dem Bäuchlein des Siegers, und sagte, er könne sich angesichts der Meinung, die Madame Tristan von den Unternehmern habe, nicht erklären, warum sie darauf bestanden habe, sie zur Teilnahme an der Arbeiterunion aufzufordern.
»Aus einem sehr einfachen Grund, Monsieur. Die Bürger haben Geld und die Arbeiter nicht. Die Union braucht Mittel, um ihr Programm zu verwirklichen. Es ist Geld, was wir von den Bürgern wollen, nicht ihre Personen.«
Monsieur Rougeon lief rot an. Die Empörung ließ seine Stirnadern anschwellen.
»Soll das heißen, Madame, daß ich, wenn ich der Union beitrete und meine Beiträge zahle, kein Recht haben werde, die Arbeiterpaläste zu betreten noch ihre Dienste in Anspruch zu nehmen?«
»Genau, Monsieur Rougeon. Sie brauchen diese Dienste nicht, denn Sie können die Erziehung Ihrer Kinder, die Ärzte und ein sorgenfreies Alter aus eigener Tasche bezahlen. Das gilt nicht für die Arbeiter, nicht wahr?«
»Aus welchem Grund sollte ich mein Geld hergeben, wenn ich nichts dafür bekomme? Aus Dummheit?«
»Aus Großmut, Altruismus, aus Solidarität mit den Hilfsbedürftigen. Gefühle, die Ihnen fremd sind, wie ich sehe.«
Monsieur Rougeon verließ ostentativ die Loge, wobei er vor sich hin murrte, daß eine derartige Organisation niemals mit seiner Unterstützung rechnen könne. Einige Zuhörer folgten ihm. Schon an der Tür, erklärte einer von ihnen: »Es stimmt: Madame Tristan ist eine Umstürzlerin.«
Später, bei einem von den Fourieristen ausgerichteten Abendessen, als
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