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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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trübte das Licht des Mondes, und Paul trug Pape moe mit äußerster Vorsicht, als könne es zerbrechen, in die Hütte zurück. Schade, daß der verrückte Holländer dieses Bild nicht sehen konnte. Er hätte es mit dem irren Blick durchbohrt, den er bei großen Gelegenheiten aufsetzte, und dann hätte er dich umarmt und geküßt und mit seiner exaltierten Stimme ausgerufen: »Sie haben es mit dem Teufel getrieben, mein Bruder!«
    Mitte Mai 1893 traf endlich die Order zur Repatriierung ein, die die französische Regierung an die Vertretung von Französisch-Polynesien gesandt hatte. Gouverneur Lacascade persönlich teilte ihm mit, daß man ihm aufgrund der erhaltenen Anweisungen – er las ihm den Ministerbeschluß vor – angesichts seiner Mittellosigkeit eine Schiffspassage zweiter Klasse von Papeete nach Marseille bezahlen werde. Am gleichen Tag, nach fünfeinhalb Stunden Gerüttel im öffentlichen Wagen, kehrte er nach Mataiea zurück und verkündete Teha’amana, daß er abreisen werde. Er sprach lange mit ihr und erklärte ihr ausführlich die Gründe, die ihn veranlaßten, nach Frankreich zurückzukehren. Auf einer der Bänke unter dem Mangobaum sitzend, hörte das Mädchen ihm zu, ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Träne zu vergießen, ohne eine Gebärde des Vorwurfs. Sie strich mit der rechten Hand mechanisch über den linken Fuß, den mit den sieben Zehen. Sie sagte auch nichts, als Paul verstummte. Nachdem er eine letzte Pfeife geraucht hatte, ging er nach oben, um sich hinzulegen, und fand Teha’amana schon schlafend vor. Am nächsten Morgen,als Koke die Augen öffnete, hatte seine vahine ihre Sachen gebündelt und war gegangen.
    Als Paul sich Anfang Juni 1893 auf der Duchaffault nach Frankreich einschiffte, war der einzige, der ihn auf dem Kai von Papeete verabschiedete, sein Freund Jénot, der gerade zum Oberleutnant der Kriegsmarine befördert worden war.

V

Der Schatten von Charles Fourier
Lyon, Mai und Juni 1844
    Sowohl in Chalon-sur-Saône als auch in Mâcon, wo sie sich in der letzten Aprilwoche und in den ersten Maitagen 1844 aufhielt, hing Floras Rundreise fast ausschließlich von der Unterstützung ihrer gegnerischen Freunde, den Phalanstère- oder Fourier-Anhängern, ab. Sie ließen sie ihr mit solcher Großzügigkeit zukommen, daß Flora in Gewissenskonflikte geriet. Wie konnte sie, ohne sie zu beleidigen, ihre Differenzen mit diesen Schülern des verstorbenen Charles Fourier offenlegen, die sie an den Poststationen oder in den Flußhäfen empfingen und verabschiedeten und alles taten, um ihr zu Versammlungen und Verabredungen zu verhelfen? Es tat ihr zwar leid, sie zu enttäuschen, aber sie sparte nicht mit Kritik an ihren Theorien und Praktiken, die ihr unvereinbar schienen mit der Aufgabe, die sie beschäftigte: die Erlösung der Menschheit.
    In Chalon-sur-Saône organisierten die Phalanstère-Anhänger am Tag nach ihrer Ankunft eine Versammlung in den großen Räumlichkeiten der Freimaurerloge Die voll kommene Gleichheit . Ihr genügte ein Blick in das vollbesetzte Lokal, in dem sich zweihundert Personen drängten, um ihr das Herz in die Hose rutschen zu lassen. Hattest du ihnen nicht geschrieben, daß die Versammlungen immer in kleinem Rahmen stattfinden sollten, mit dreißig oder höchstens vierzig Arbeitern? Ein zahlenmäßig geringes Publikum erlaubte den Dialog, die persönliche Beziehung. Ein Publikum wie dieses war distanziert, kühl, außerstande, teilzunehmen, nur zum Zuhören verurteilt.
    »Aber Madame, die Neugier auf Sie war gewaltig. Ihnen eilt so großer Ruhm voraus!« entschuldigte sich Lagrange, ein führender Fourierist in Chalon-sur-Saône.
    »Ich pfeife auf den Ruhm, Monsieur Lagrange. Mir geht es um Wirkung. Ich kann nicht einwirken, wenn ich eine anonyme, diffuse Masse vor mir habe. Ich spreche gern zu Menschen, aber dazu muß ich ihre Gesichter sehen, ihnen das Gefühl vermitteln, daß ich mit ihnen reden, ihnen aber nicht meine Ideen aufzwingen möchte wie der Papst der katholischen Herde.«
    Schlimmer als die Menge der Zuhörer war ihre soziale Zusammensetzung. Von der mit einem Blumengebinde dekorierten Bühne aus, hinter sich eine Wand mit den Symbolen der Freimaurer, entdeckte Flora, während Monsieur Lagrange sie vorstellte, daß zwei Drittel der Anwesenden Unternehmer und nur ein Drittel Arbeiter waren. Nach Chalon-sur-Saône kommen, um den Ausbeutern die Arbeiterunion zu predigen! Diesen Fourieristen war nicht zu helfen, trotz der Intelligenz und Honorigkeit

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