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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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dem Entschluß, sich niewieder irgendeine Art von Zerstreuung zu gönnen und ein Leben des Verzichts und der Weltabgeschiedenheit zu führen, bis der Tod sie von ihrer Qual befreien würde.
    Die Worte dieses hübschen jungen Mädchens, dessen Augen voller Tränen standen, lösten bei Flora heftige Entrüstung aus. Und sie erteilte ihr sogleich eine Lehre, während sie zwischen den Blumenrabatten von Le Monceau spazierengingen.
    »Es macht mich traurig, aber auch zornig, wenn ich Sie so reden höre, Madame. Sie sind kein Opfer des Schicksals, sondern ein Monstrum an Egoismus. Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber Sie werden sehen, daß ich recht habe. Sie sind jung, schön, reich, und statt dem Himmel für diese Gaben zu danken und sie zu nutzen, begraben Sie sich zu Lebzeiten, weil ein Ereignis Sie vor der Ehe bewahrt hat, der schlimmsten Sklaverei, die eine Frau erleiden kann. Tausende, Millionen von Menschen verwitwen, und Sie betrachten Ihre Witwenschaft als eine Katastrophe der Menschheit.«
    Die junge Frau war stehengeblieben und leichenblaß geworden. Sie schaute Flora ungläubig an und fragte sich, ob die Besucherin verrückt war oder es in ebendiesem Augenblick geworden war.
    »Eine Egoistin, weil ich der großen Liebe meines Lebens treu bin?« murmelte sie.
    »Niemand hat das Recht, eine derartige Gelegenheit ungenutzt zu lassen«, nickte Flora. »Vergessen Sie Ihre Trauer, verlassen Sie dieses Grab. Fangen Sie an zu leben. Bilden Sie sich, tun Sie Gutes, helfen Sie den Millionen von Menschen, die wirklich reelle, konkrete Probleme haben, Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unwissenheit, und nichts gegen sie ausrichten können. Sie haben kein Problem, sondern eine Lösung. Die Witwenschaft hat Sie davor bewahrt, entdecken zu müssen, was für eine Sklaverei die Ehe für die Frau bedeutet. Spielen Sie sich nicht als Heldin eines romantischen Romans auf. Folgen Sie meinem Rat. Kehren Sie ins Leben zurück und beschäftigenSie sich mit großmütigeren Dingen als damit, Ihren Schmerz zu pflegen. Und wenn Sie Ihre Zeit nicht damit verbringen wollen, Gutes zu tun, dann genießen Sie sie, amüsieren Sie sich, reisen Sie, nehmen Sie sich einen Liebhaber. Genau das hätte Ihr Mann getan, wenn Sie an Tuberkulose gestorben wären.«
    Madame de Pierreclos’ Gesicht wechselte von leichenblaß zu erdbeerrot. Und dann brach sie plötzlich in ein hysterisches Kichern aus, das sie erst nach einer ganzen Weile unterdrücken konnte. Flora betrachtete sie amüsiert. Beim Abschied stammelte die junge Witwe verwirrt, sie wisse zwar nicht, ob Flora im Ernst oder im Scherz gesprochen habe, aber sie werde über ihre Worte nachdenken.
    Als Flora das Schiff nach Lyon bestieg, fühlte sie sich wie befreit von einer Last. Sie war der Kleinstädte und Dörfer überdrüssig und konnte es kaum abwarten, wieder in eine Großstadt zu kommen.
    Der erste Eindruck von Lyon mit seinen düsteren, kasernenähnlichen, sich alptraumhaft aneinanderreihenden Häusern und mit Schottersteinen bedeckten Straßen, die den Fußsohlen schmerzhaft zusetzten, war denkbar schlecht. Es erinnerte sie an das London der Familie Spence mit seinem Grau in Grau und seinen Gegensätzen zwischen sehr reichen Reichen und sehr armen Armen, und weil die Stadt wie ein Denkmal wirkte, das man der Ausbeutung der Arbeiter gesetzt hatte. Das deprimierende Gefühl des ersten Tages sollte jedoch im Zuge ihrer zahlreichen Treffen, Verabredungen und Versammlungen verschwinden, in deren Verlauf sie sich auch zum ersten Mal in ihrem Leben von der Polizei bedrängt sah. Hier hatte sie nun endlich zahlreiche Treffen mit Arbeitern aller Berufszweige, mit Webern, Schuhmachern, Steinmetzen, Schmieden, Tischlern, Samtwirkern und anderen. Ihr Ruf war ihr vorausgeeilt; viele Leute kannten sie und schauten sie auf der Straße bewundernd oder tadelnd an, manche auch wie ein Wesen von einem anderen Stern. Doch der Grund, weshalb sie in den noch verbleibenden Monaten ihrer Rundreise– als sie in Lyon eintraf, waren zwei Monate seit ihrer Abreise aus Paris vergangen – immer wieder an die anderthalb Monate in Lyon zurückdenken sollte, war, daß sie sich während des gewaltigen Pensums dieser Wochen ein bedrückendes Bild von den Exzessen der Ausbeutung machen konnte, deren Opfer die Armen waren, aber auch von den gewaltigen Reserven an Redlichkeit, Sittlichkeit und Heroismus, über die die Arbeiterklasse verfügte, obwohl sie in einem Zustand vollkommener Erniedrigung lebte. »In den

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