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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Arbeit, die abstumpfende Routine, die sie von morgens bis abends auf den Beinen hielt, nicht das Schlimmste dieser drei Jahre im Dienst der Familie Spence. Es war vielmehr das Gefühl, daß dieses Paar und die alte Jungfer sie schon bald nach Antritt ihrer Arbeit allmählich zum Verschwinden brachten, sie ihrer Eigenschaft als Frau, als menschliches Wesen beraubtenund in ein seelenloses, unbelebtes Werkzeug ohne Gefühle noch Würde verwandelten, dem man nur in den kurzen Augenblicken, in denen man ihm Befehle erteilte, das Recht auf Existenz zugestand. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätten sie mißhandelt, ihr wären Teller um die Ohren geflogen. Dabei hätte sie sich zumindest lebendig gefühlt. Die Gleichgültigkeit, mit der man sie behandelte – sie konnte sich nicht erinnern, daß man sie jemals nach ihrem Befinden gefragt hätte oder ihr in irgendeiner Weise entgegengekommen oder auch nur freundlich begegnet wäre –, verletzte sie tief in der Seele. Im Verhältnis zu ihren Arbeitgebern kam ihr die Rolle zu, wie ein Tier zu arbeiten und den ganzen Tag stupide Dinge zu verrichten. Und sich damit abzufinden, die Würde, den Stolz und die Gefühle bis hin zu dem Gefühl, lebendig zu sein, zu verlieren. Trotz allem, als die Zeit in der Schweiz vorbei war und das Ehepaar Spence ihr vorschlug, sie mit nach England zu nehmen, erklärte sie sich bereit. Warum, Florita? Natürlich, was konntest du schon anderes tun, um weiter deine Kinder zu ernähren, denn damals lebten noch alle drei. Zudem war es unwahrscheinlich, daß André Chazal dich in London finden und dort wegen deiner Flucht vom heimischen Herd bei der Polizei anzeigen konnte. Deine Angst, im Gefängnis zu landen, begleitete dich wie ein Schatten in all diesen Jahren.
    Düstere Erinnerungen, Florita. Diese drei Jahre als Dienstmädchen erfüllten sie mit einer derartigen Scham, daß sie diese Zeit aus ihrem Leben löschte, bis der Anwalt André Chazals sie Jahre später, in dem verfluchten Gerichtsverfahren, ans Licht der Öffentlichkeit zerrte. Jetzt bestürmten sie diese Erinnerungen in Mâcon, weil sie sich so schlecht fühlte, weil sie so enttäuscht war von dieser todhäßlichen Stadt mit ihren zehntausend Seelen, die ihr im übrigen allesamt ebenso häßlich vorkamen wie die Häuser und Straßen, in denen sie wohnten. Obwohl sie bei den vier genossenschaftlichen Vereinigungen gewesen war und bei jeder ihre Adresse und ein Informationsblatt überdie Arbeiterunion hinterlassen hatte, kamen nur zwei Personen sie besuchen: ein Faßbinder und ein Schmied. Keiner hatte Interesse. Beide erklärten ihr, daß die Genossenschaften in Mâcon im Verschwinden begriffen seien, da die Werkstätten jetzt Mittel und Wege gefunden hätten, niedrigere Löhne zu bezahlen, indem sie durchziehende Landarbeiter und wandernde Erntehelfer auf Zeit einstellten, statt ständige Belegschaften zu unterhalten. Die Arbeiter seien in Massen abgewandert, um Arbeit in den Fabriken in Lyon zu suchen. Und die landwirtschaftlichen Arbeiter wollten sich nicht mit genossenschaftlichen Problemen befassen, denn sie betrachteten sich nicht als Proletarier, sondern als Landarbeiter, die sich gelegentlich in den Werkstätten verdingten, um sich ein zusätzliches Einkommen zu sichern.
    Das einzig Lustige in Mâcon war Monsieur Champvans, der Geschäftsführer der Zeitung Le Bien Public , die der illustre Lamartine per Korrespondenz von Paris aus leitete. Ein vornehmer, gebildeter Bürger, der sie mit einer Eleganz und Zuvorkommenheit behandelte, die sie trotz ihrer politischen und moralischen Vorbehalte gegenüber dem Bürgertum entzückten. Monsieur Champvans verbarg höflich sein Gähnen, als sie ihm die Arbeiterunion beschrieb und ihm erklärte, wie sie die menschliche Gesellschaft zu verändern gedachte. Aber er lud sie im besten Restaurant von Mâcon zu einem erlesenen Mittagessen ein und fuhr mit ihr aufs Land, um Le Monceau zu besichtigen, das herrschaftliche Anwesen von Lamartine. Das Schloß dieses großen Künstlers und Demokraten erschien ihr irritierend prunksüchtig und äußerst geschmacklos. Der Besuch begann sie schon zu langweilen, als zu ihrer Begleitung Madame de Pierreclos erschien, die Witwe des unehelichen Sohnes des Dichters, der mit achtundzwanzig Jahren, kurz nach seiner Heirat, an Tuberkulose gestorben war. Die junge, anmutige Frau, fast noch ein Kind, erzählte Flora von ihrer tragischen Liebe, von der Trostlosigkeit, in der sie seit dem Tod ihres Mannes lebte, von

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