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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Flora ihre enttäuschten und betrübten Gesichter sah, fand sie ein paar Worte, um sie zu besänftigen. Sie sagte, sie habe trotz ihrer Differenzen mit den Schülern von Charles Fourier einen so großen Respekt vor der Bildung, der Intelligenz und der Integrität Victor Considérants, daß sie nach der Gründung der Arbeiterunion nicht zögern werde, ihn als Anwalt des Volkes vorzuschlagen, als ersten besoldeten Vertreter der Arbeiterklasse in der Nationalversammlung. Victor wäre, davon sei sie überzeugt, ein ebenso guter Volkstribun, wie es im englischen Parlament der Ire Daniel O’Connell war. Diese Ehrerbietung für ihren Anführer und Mentor besserte die Stimmung.Als sie Flora vor der Herberge verabschiedeten, hatten sie Frieden geschlossen, und einer von ihnen sagte vergnügt zu ihr, er habe bei ihren Worten heute abend endlich verstanden, was es mit ihrem Spitznamen Madame-la-Colère auf sich habe.
    Sie konnte nicht gut schlafen. Sie war enttäuscht von dem, was in der Freimaurerloge geschehen war, und bedauerte, daß sie sich hatte dazu hinreißen lassen, die Bürger zu beleidigen, statt sich darauf zu konzentrieren, Anhänger unter den Arbeitern zu gewinnen. Dein verflixter Charakter, Florita; mit deinen einundvierzig Jahren warst du noch immer nicht imstande, deine Gefühlsaufwallungen zu beherrschen. Und doch hatte dieser rebellische Geist, hatten diese Anfälle von schlechter Laune dir geholfen, frei zu bleiben und die Freiheit jedesmal, wenn du sie verloren glaubtest, zurückzugewinnen. Wie in deiner Zeit als Sklavin von André Chazal. Oder bei der Familie Spence, als du dich fast in einen Automaten, in ein Lasttier verwandelt hattest. Diese Zeit, in der du noch nicht wußtest, was der Saintsimonismus, der Fourierismus, der ikarische Kommunismus waren, und das Werk Robert Owens, in New Lanark, Schottland, dir unbekannt war.
    In den vier Tagen, die sie in Mâcon verbrachte, der Heimat des illustren Dichters und Abgeordneten Lamartine, holten die körperlichen Leiden sie wieder ein, als wollten sie ihre Kraft auf die Probe stellen. Zu den Schmerzen in der Gebärmutter und im Magen, die so stark waren, daß sie sich krümmen mußte, kam die Müdigkeit, die Versuchung, auf die Verabredungen, die Besuche bei den Tageszeitungen und die Jagd nach Arbeitern zu verzichten, die sich hier rarer machten als anderswo, und sich auf das geblümte Bett ihres Zimmers im hübschen Hôtel du Sauvage zu legen. Sie widerstand dieser Versuchung um den Preis einer herkulischen Anstrengung. In den Nächten hielten Erschöpfung und Nervosität sie wach, und sie dachte – eine dieser Erinnerungen, die sie bisweilen als Buße dafür heimsuchten, daß ihr Kampf nicht erfolgreicher gewesen war – an diedrei Leidensjahre im Dienst der Familie Spence. Diese englische Familie mußte sehr wohlhabend sein, aber außer auf Reisen genoß sie ihren Wohlstand kaum, sparsam, puritanisch und phantasielos wie sie war. Die Eheleute, Mr. Marc und Mrs. Catherine, waren um die fünfzig Jahre alt, und Miss Annie, seine jüngere Schwester, um die fünfundvierzig. Alle drei waren mager, unansehnlich, leicht trübsinnig, stets schwarz gekleidet und ohne jede Neugier. Sie stellten sie als Gesellschafterin an, zur Begleitung auf einer Reise in die Schweizer Berge, wo sie reine Luft atmen und ihre vom Ruß der Londoner Fabriken verunreinigten Lungen auslüften wollten. Das Salär war gut; es erlaubte ihr, der Amme den Unterhalt für die Kinder zu bezahlen, und ließ ihr einen Überschuß für ihre persönlichen Bedürfnisse. Das mit der Gesellschafterin erwies sich als Beschönigung; in Wirklichkeit war sie das Dienstmädchen des Trios. Sie servierte ihnen das Frühstück im Bett, mit dem ungenießbaren porridge , den Toastscheiben und der faden Tasse Tee, die sie drei- oder viermal am Tag zu sich nahmen, wusch und bügelte ihnen die Wäsche und half den schrecklichen Frauen, sich nach ihren morgendlichen Waschungen anzukleiden. Sie machte Besorgungen für sie, brachte ihre Briefe zur Post und kaufte ihnen in den Lebensmittelläden die geschmacklosen Kekse, die sie zu ihrem Tee aßen. Aber sie fegte auch Zimmer, schüttelte Betten aus, leerte Nachttöpfe und mußte täglich bei den Mahlzeiten die Demütigung erleben, daß das Ehepaar Spence ihr die Portionen des Mittag- und des Abendessens auf die Hälfte ihrer eigenen kürzte. Einige Bestandteile der familiären Ernährung, wie Fleisch und Milch, waren ihr immer verboten.
    Dennoch war diese stupide

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