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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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als kehrte er nach Hause zurück und als erwartete ihn ein Schwarm von Verwandten und Freunden im Hafen, um ihn willkommen zu heißen. Aber niemand erwartete ihn, und es kostete ihn große Mühe, einen Wagen zu finden, der geräumig genug war, um ihn mitsamt seinen Gepäckstücken, Paketen, Leinwandrollen und Farbtuben zu einer kleinen Pension zu fahren, die er in der Rue Bonard, im Zentrum der Stadt, kannte.
    Papeete hatte sich in den beiden Jahren seiner Abwesenheit verändert; jetzt gab es elektrisches Licht, und die Nächte besaßen nicht mehr ihr halb mysteriöses, halb düsteres Gepräge, vor allem im Hafen mit seinen einst sieben Schiffchen, die jetzt auf zehn angewachsen waren. Der Militärclub, der auch von Siedlern und Beamten besucht wurde, hatte jetzt hinter seiner Palisade aus Holzpfählen einen funkelnagelneuen Tennisplatz. Ein Sport, den du, Paul, seit der Prügelei in Concarneau auf den Stock angewiesen, niemals wieder praktizieren könntest.
    Während der Reise hatten die Schmerzen im Knöchel nachgelassen, doch kaum betrat er tahitianischen Boden, kehrten sie verstärkt zurück, so sehr, daß er sich einige Tage lang laut stöhnend ins Bett legen mußte. Die Beruhigungsmittel wirkten nicht, nur der Alkohol, wenn er trank, bis ihm die Zunge schwer wurde und er sich kaum auf denBeinen halten konnte. Und das Laudanum, das ihm ein Apotheker in Papeete gegen eine exorbitante Summe ohne ärztliches Rezept zu verkaufen bereit war.
    Die dumpfe Schläfrigkeit, in die ihn das Opium versetzte, hielt ihn stundenlang in seinem Zimmer oder im Sessel auf der Terrasse der bescheidenen Pension, die er in Papeete bewohnte, solange man ihm in Punaauia, etwa zwölf Kilometer von der Hauptstadt entfernt, auf einem kleinen Stück Land, das er billig erworben hatte, eine Hütte aus Bambusrohr mit einem Dach aus geflochtenen Palmwedeln baute, die er später mit den Dingen einrichtete und dekorierte, die ihm von seinem vorherigen Aufenthalt geblieben waren, dazu noch mit dem wenigen, das er aus Frankreich mitgebracht hatte, und mit einigen auf dem Markt in Papeete gekauften Sachen. Er teilte den einzigen Raum durch einen einfachen Vorhang, damit ein Teil ihm als Schlafzimmer und der andere als Atelier dienen konnte. Als er seine Staffelei aufgestellt und seine Leinwände und Farbtuben angeordnet hatte, fühlte er sich besser. Um gutes Licht zu haben, öffnete er eigenhändig und mit großer Mühe wegen der chronischen Schmerzen im Knöchel ein Oberlicht in der Decke. Dennoch war er monatelang unfähig zu malen. Er fertigte einige Holzpaneele, die er an die Wände der Hütte hängte, und wenn der Schmerz und das Brennen der Beine es ihm erlaubten – die unaussprechliche Krankheit war mit der Pünktlichkeit der Gestirne zurückgekehrt –, schnitzte er Skulpturen, Götzenfiguren, die er auf die Namen der alten Götter der Maori taufte: Hina, Oviri, die Ariori, Te Fatu, Ta’aora.
    Während dieser ganzen Zeit, Tag und Nacht, klarsichtig oder eingetaucht in trüben Schwindel, wenn das Opium sein Gehirn in Gallert aufzulösen schien, dachte er an Aline. Nicht an seine Tochter Aline – das einzige seiner fünf Kinder mit Mette Gad, an das er bisweilen dachte –, sondern an seine Mutter Aline Chazal, die später Madame Aline Gauguin wurde, als die politischen und intellektuellen Freunde der Großmutter Flora bei deren Tod dem Waisenmädcheneine Zukunft sichern wollten und sie 1847 mit dem republikanischen Journalisten Clovis Gauguin, seinem Vater, verheirateten. Eine tragische Ehe, Koke, eine tragische Familie, die deine. Die Flut der Erinnerungen wurde an dem Tag ausgelöst, als Paul begann, die Photos aus Port-Said in einer Reihe an die Wände seines neuen Ateliers in Punaauia zu heften. Das Modell, das in den Armen eines anderen, ebenfalls nackten Mädchens in die Kamera blickte, hatte eine dieser schwarzen Haarmähnen, die die Pariser »andalusisch« nennen, und große, riesige, schmachtende Augen, die ihn an jemanden erinnerten. Er empfand Unbehagen, ohne zu wissen, weshalb. Stunden später ging ihm ein Licht auf. Deine Mutter, Paul. Die kleine Hure auf dem Photo besaß etwas von den Gesichtszügen, dem Haar und den traurigen Augen Aline Gauguins. Er lachte beklommen. Warum erinnertest du dich jetzt an deine Mutter? Das war ihm seit 1888, als er ihr Porträt gemalt hatte, nicht mehr passiert. Sieben Jahre, ohne an sie zu denken, und jetzt beschäftigte sie dich Tag und Nacht, wie eine fixe Idee. Und warum mit diesem

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