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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sie Santa Clara abgelegt habe und allein erfüllen müsse, ging sie aus dem Haus und ließ sich mit einem Mietwagen zum Hafen fahren. Es war leicht, die Büros derSchiffsgesellschaft zu finden. Nachdem sie eine halbe Stunde gewartet hatte, erschien Kapitän Zacharie Chabrié in der Tür. Sie erkannte seine hochgewachsene Gestalt, sein spärliches Haar, sein rundliches, bretonisches Gesicht, das ritterlich und provinziell zugleich war, seine gütigen Augen. Auch er erkannte sie sofort.
    »Madame Tristan!« Er beugte sich hinunter, um ihr die Hand zu küssen. »Ich habe mich schon gefragt, als ich die Passagierliste sah, ob Sie es sein würden. Sie reisen mit mir auf der Méxicain , nicht wahr?«
    »Können wir einen Augenblick unter vier Augen sprechen?« sagte Flora, während sie mit dramatischem Gesichtsausdruck nickte. »Es ist eine Sache von Leben oder Tod, Monsieur Chabrié.«
    Verwirrt ließ der Kapitän sie in ein kleines Kabinett eintreten und überließ ihr, was wahrscheinlich sein Platz war, einen großen Sessel mit einem Fußbänkchen davor.
    »Ich vertraue Ihnen, weil ich glaube, daß Sie ein Kavalier sind.«
    »Ich werde Sie nicht enttäuschen, Madame. Womit kann ich Ihnen dienen?«
    Flora zögerte einige Sekunden. Chabrié wirkte wie einer dieser altmodischen Bretonen, die alle Meere der Welt befahren haben und doch den traditionellen Werten, den sittlichen und religiösen Grundsätzen treu geblieben sind.
    »Ich bitte Sie, mir keine Fragen zu stellen«, sagte sie flehend, mit tränenfeuchten Augen. »Ich werde es Ihnen auf hoher See erklären. Am Tag der Abreise, wenn ich hier in Begleitung erscheine, müssen Sie mich grüßen, als sähen Sie mich zum ersten Mal. Verraten Sie mich nicht. Ich bitte Sie, bei allem, was Ihnen lieb und teuer ist, Kapitän. Versprechen Sie mir das?«
    Zacharie Chabrié nickte, sehr ernst.
    »Ich brauche keinerlei Erklärung. Ich kenne Sie nicht, ich habe Sie nie gesehen. Ich werde das Vergnügen haben, am Sonntag, um acht Uhr, dem Zeitpunkt der Abfahrt, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

VIII

Porträt von Aline Gauguin
Punaauia, Mai 1897
    Am 3. Juli 1895 ging Paul in Marseille an Bord des Dampfschiffs The Australian , erschöpft, aber froh. In den letzten Wochen hatte ihn die Furcht vor einem plötzlichen Tod gequält. Seine sterblichen Überreste sollten nicht in Europa verfaulen, sondern in Polynesien, seiner Wahlheimat. Wenigstens darin stimmtest du mit den hochfliegenden internationalistischen Ideen deiner Großmutter Flora überein, Koke. Es war Zufall, wo man geboren wurde; das wahre Vaterland wählte man, mit seinem Leib und seiner Seele. Du hattest Tahiti gewählt. Du würdest als Wilder sterben, in diesem schönen Land der Wilden. Dieser Gedanke befreite ihn von einer großen Last. Machte es dir nichts aus, deine Kinder und deine Freunde nicht wiederzusehen, Paul? Daniel, den guten Schuff, die letzten Jünger in Pont-Aven, das Ehepaar Molard? Bah, es machte dir nicht das geringste aus.
    Beim Zwischenstop in Port-Said, vor der Durchfahrt durch den Suezkanal, stieg er vom Schiff, um sich ein wenig auf dem kleinen Markt umzutun, der um den Landungssteg aus dem Boden gewachsen war, und erblickte plötzlich inmitten der Menge laut schreiender arabischer, griechischer und türkischer Händler, die Stoffe, Flitterkram, Datteln, Parfüm, Honigkuchen zum Verkauf boten, einen Nubier mit rötlichem Turban, der ihm mit obszönem Augenzwinkern etwas zeigte, was er halbverborgen in seinen groben Händen hielt. Es war eine prachtvolle Sammlung erotischer Photographien in gutem Zustand, auf denen sämtliche denkbaren Stellungen und Kombinationen erschienen, sogar eine Frau, die von einem Windhund sodomisiert wurde. Er kaufte ihm die fünfundvierzigPhotos sofort ab. Sie würden seine Reisetruhe voller Platten, Krimskrams und Kuriositäten bereichern, die er in einem Depot in Papeete zurückgelassen hatte. Er freute sich bei dem Gedanken an die Reaktionen der Tahitianerinnen, wenn er ihnen diese Tollheiten zeigen würde.
    Diese Photos Revue passieren zu lassen und an ihnen seine Phantasie zu entzünden war eine der wenigen Zerstreuungen in den zwei endlosen Monaten der Reise nach Tahiti, mit Zwischenstops in Sydney und in Auckland, wo er drei Wochen lang auf ein Schiff warten mußte, das die Route der Inseln befuhr. Am 8. September traf er in Papeete ein. Das Schiff lief mit dem grandiosen Lichterspiel der Morgendämmerung in die Lagune ein. Er fühlte ein unbeschreibliches Glück,

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