Das Paradies ist anderswo
sie einige Jahre in Orléans bei Onkel Zizi gelebt hatten, dort in das von Monseigneur Dupanloup geleitete geistliche Internat gegeben hatte und nach Paris gegangen war. Als von Gustave Arosa ausgehaltene Geliebte, natürlich! Nie hattest du ihr das verziehen, Koke: daß sie dich allein in Orléans ließ, daß sie die Geliebte von Gustave Arosa war, eines Millionärs, dilettierenden Malers und Kunstsammlers. Was für ein Wilder warst du eigentlich, du Heuchler? Ein Mensch voller bürgerlicher Vorurteile, das warst du. »Ich verzeihe dir jetzt, Mama«, rief er laut. »Verzeih du mir auch, wenn du kannst.« Er war völlig betrunken; seine Oberschenkel brannten, als glühte injedem von ihnen eine kleine Hölle. Er dachte an seinen Vater, Clovis Gauguin, der aus politischen Gründen aus Frankreich fliehen mußte, bei der Überfahrt nach Lima auf hoher See gestorben war und im gespenstischen Puerto Hambre begraben lag, in der Nähe der Magellan-Straße, wo niemand jemals Blumen auf sein Grab legen würde. Und an Aline Gauguin, wie sie als Witwe und mit zwei kleinen Kindern auf dem Gipfel der Verzweiflung in Lima eintraf.
In diesen Tagen, in denen er sich mutterseelenallein fühlte und aufgrund der Schmerzen im Knöchel außerstande war, die Hütte zu verlassen, erinnerte er sich an die Prophezeiung seiner Mutter, in dem Testament, in dem sie ihm ihre wenigen Bilder und ihre Bücher hinterlassen hatte. Sie wünschte dir Erfolg in deiner Laufbahn. Aber sie fügte einen Satz hinzu, der dich noch immer mit Bitterkeit erfüllte: »Paul hat meine sämtlichen Freunde derart vor den Kopf gestoßen, daß mein armer Sohn eines Tages völlig allein auf der Welt sein wird.« Die Prophezeiung erfüllte sich, Mama. Allein wie ein Wolf, allein wie ein Hund. Deine Mutter hatte den Wilden in dir erkannt, bevor du dir deiner wahren Natur bewußt wurdest, Paul. Im übrigen stimmte es nicht, daß du als junger Mann so unausstehlich gegenüber allen Freunden Aline Gauguins gewesen warst. Nur gegenüber Gustave Arosa, deinem Vormund. Nie konntest du diesem Herrn ein Lächeln schenken oder ihn glauben machen, du seist ihm zugetan, so liebevoll er sich auch um dich bemühte, sosehr er dich auch mit Geschenken und guten Ratschlägen überhäufte, sosehr er auch nach deinem Austritt aus der Marine deine Karriere in der Geschäftswelt förderte. Er brachte dich in der Agentur von Paul Bertin unter, damit du dein Glück an der Wertpapierbörse in Paris versuchen konntest, und erwies dir weitere Gefälligkeiten. Aber dieser Herr konnte nicht dein Freund sein, denn wenn er deine Mutter liebte, war es seine Pflicht, sich von seiner Frau zu trennen und sich öffentlich zu seiner Liebe und Aline Chazal, verwitwete Gauguin, zu bekennen,statt sie als heimliche Geliebte zu halten, um sporadisch seine Lüste zu befriedigen. Nun ja, einen Wilden sollten derlei Dummheiten nicht bekümmern. Was waren das für Vorurteile, Paul? Aber damals warst du ja noch kein Wilder, sondern ein honoriger Bürger, der sich seinen Lebensunterhalt an der Pariser Börse verdiente und dessen Ideal es war, so reich zu werden wie Gustave Arosa. Sein lautes Gelächter brachte sein Bett zum Wackeln; das Moskitonetz löste sich, und er verfing sich darin wie ein Fisch im Netz.
Als die Schmerzen nachließen, zog er Erkundigungen über seine ehemalige vahine Teha’amana ein. Sie hatte einen jungen Mann aus Mataiea namens Ma’ari geheiratet und lebte nach wie vor in diesem Dorf mit ihrem neuen Ehemann. Obwohl er sich keine Hoffnungen machte, schickte Paul ihr durch den Jungen, der die kleine protestantische Kirche in Punaauia putzte, eine Nachricht, in der er sie bat, sie möge zu ihm zurückkehren, und ihr viele Geschenke versprach. Zu seiner Überraschung und Freude erschien Teha’amana nach wenigen Tagen in der Tür seiner Hütte. Sie trug ein kleines Bündel mit ihren Kleidungsstücken, wie beim ersten Mal. Sie grüßte ihn, als hätten sie sich am Vorabend getrennt. »Guten Tag, Koke.«
Sie war dicker geworden, aber sie war noch immer eine schöne junge Frau voller Anmut, mit wohlgeformtem Körper, üppig die Brüste, die Hinterbacken, der Bauch. Er war so erfreut über ihr Kommen, daß er sich gleich besser fühlte. Die Schmerzen im Knöchel verschwanden, und er begann wieder zu malen. Doch die Aussöhnung mit Teha’amana dauerte nur kurz. Sie konnte den Ekel nicht verbergen, den die Wunden ihr einflößten, obwohl Paul die Beine fast immer umwickelte, nachdem er sie mit
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