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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ismaelillo zogen Erkundigungen über Schiffe ein, die in den folgenden Wochen nach Südamerika auslaufen würden. Sie fanden die Carlos Adolfo , die Fletes und Le Méxicain . Alle drei würden im Lauf des Februar 1833 in See stechen. Don Mariano nahm persönlich eine Inspektion vor. Er schloß die beiden ersten aus; die Carlos Adolfo war uralt und voller Ausbesserungen, und die Fletes war ein gutes Schiff, aber sie lief die halbe afrikanische Küste an, bevor sie Kurs auf Südamerika nehmen würde. Le Méxicain erwies sich als die beste Lösung. Ein kleines Schiff mit nur einem Zwischenhalt, bevor es sich durch die Magellan-Straße nach Valparaíso begeben würde. Die Überfahrt dauerte etwa drei Monate.
    Nachdem das Schiff ausgewählt und die Kabine belegtwar, blieb nichts weiter zu tun, als auf die Abreise zu warten. Seit sie in Bordeaux lebte, hatten Don Mariano und Ismaelillo Wert darauf gelegt, daß sie ihr schlechtes Spanisch verbesserte; Flora erinnerte sich nur an einzelne Wörter, an Sätze, die sie als Kind zu Hause in Vaugirard von ihrem Vater gehört hatte. Beide nahmen ihre Rolle als Lehrer sehr ernst, und nach einigen Monaten konnte Flora ihren Gesprächen folgen und Spanisch radebrechen.
    Von dem schimpflichen Spitznamen, mit dem die örtliche Gesellschaft in Gestalt der Dienstboten des Herrn de Goyeneche Ismaelillo bedacht hatte, erfuhr sie erst durch das Opfer selbst. Es war auf einem der langen Spaziergänge, die sie am Ufer der breiten Garonne oder auf dem Land vor der Stadt zu machen pflegten und bei denen Flora die Anstrengung zu spüren glaubte, den stillen, heftigen Kampf, der im Herzen des jungen Mannes stattfand, ihr die Leidenschaft zu gestehen – oder nicht zu gestehen –, die er für sie empfand.
    »Sie haben bestimmt gehört, wie die Leute in Bordeaux mich hinter meinem Rücken nennen.«
    »Nein, ich habe nichts gehört. Meinen Sie einen Spitznamen?«
    »Einen vulgären und blasphemischen«, sagte der junge Mann, sich auf die Lippen beißend. »Der Göttliche Eunuch.«
    »Ja, er ist vulgär«, rief Flora verwirrt aus. »Auch etwas blasphemisch. Aber vor allem dumm. Warum erzählen Sie mir das?«
    »Ich möchte kein Geheimnis vor Ihnen haben, Flora.«
    Er verstummte betrübt und sprach während des restlichen Spaziergangs kein Wort mehr, wie vom Schicksal zu Boden gedrückt. In diesem Augenblick, so glaubtest du, Florita, war der junge Mann so nahe daran wie nie, sein religiöses Gelübde zu brechen und dir zu sagen, daß er nur allzu menschlich war, nicht göttlich, und daß er davon träumte, eine schöne, wache Frau wie dich in den Armen zu halten. Besser, daß er es nicht getan hatte. Trotz der abstoßendenDinge, die du bisweilen an ihm entdecktest, hattest du am Ende eine mit Mitleid gemischte Zuneigung zu ihm gefaßt.
    Der Besuch bei den Bandwirkern in Saint-Benoît machte sie wütend und deprimierte sie. Es waren etwa zwanzig dumpfe, analphabetische, der geringsten Neugier entbehrende Arbeiter. Ihr war, als würde sie zu Bäumen oder zu Steinen reden. Es wäre leichter gewesen, die geschniegelten Offiziere des Café de Paris zu Revolutionären zu machen als diese armen Teufel, die abgestumpft waren durch Hunger und Ausbeutung und die das Bürgertum um das letzte bißchen Verstand gebracht hatte. Als sie die Runde der Fragen eröffnete und einer der canuts ihr vorhielt, sie bereichere sich den Gerüchten zufolge am Verkauf der Exemplare von L’Union Ouvrière , vermochte sie nicht einmal Wut zu empfinden.
    An dem Tag, an dem sie das endgültige Datum der Ausfahrt von Le Méxicain aus dem Hafen von Bordeaux mit Kurs auf Peru erfuhr – der 7. April 1833, um acht Uhr morgens, um die Flut auszunutzen –, erfuhr sie auch, daß der Kapitän ihres Schiffes kein anderer war als Zacharie Chabrié! Als sie Don Mariano de Goyeneche diesen Namen aussprechen hörte, war sie wie vom Blitz getroffen. Zacharie Chabrié! Der Kapitän aus der Pariser Pension, der ihr von der Familie Tristán in Arequipa erzählt hatte. Dieser Kapitän hatte ihre Tochter Aline kennengelernt und würde sie »Madame« nennen und nach ihrem »hübschen Töchterchen« fragen, sobald er sie in Begleitung von Don Mariano und Ismaelillo vor sich sähe. Dein ganzes Lügengebäude würde über dir zusammenbrechen und dich zermalmen, Andalusierin.
    Sie verbrachte eine schlaflose Nacht, mit angstvoller Enge in der Brust. Aber am nächsten Morgen hatte sie eine Entscheidung getroffen. Unter dem Vorwand eines Gelübdes, das

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