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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Bedeutung. Und seine vahine auch nicht; nach Art der Maori nahm sie ihre Schwangerschaft ohne Fröhlichkeit noch Bitterkeit, mit fatalistischem Gleichmut. Er hatte eine schlimme Zeit hinter sich: das erneute Aufbrechen der Wunden, die Schmerzen im Knöchel und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, nachdem er den letzten Centime von Onkel Zizis Erbe ausgegeben hatte. Doch Pau’uras Schwangerschaft fiel mit einer Wende seines Schicksals zusammen. Während die Wunden an seinen Beinen sich einmal mehr zu schließen begannen, erhielt er eine Überweisung von tausendfünfhundert Francs von Daniel de Monfreid: Ambroise Vollard hatte endlich einige Bilder und eine Skulptur verkauft. Dem ehemaligen Soldaten Pierre Levergos, der sich nach dem Austritt aus der französischen Armee auf einer kleinen Obstplantage in der Umgebung von Punaauia niedergelassen hatte und ihn manchmal besuchte, um eine Pfeife zu rauchen und ein Glas Rum zu trinken, versicherte Paul halb im Scherz, halb im Ernst:
    »Seit sie erfahren haben, daß ich Vater eines Tahitianers werde, haben die Ariori beschlossen, mich zu beschützen. Von nun an werden die Dinge mit Hilfe der Götter dieser Erde bessergehen.«
    Und so war es, eine Zeitlang. Mit Geld und einer etwas besseren Gesundheit – obwohl er wußte, daß der Knöchel ihn immer quälen und er sein Leben lang hinken würde – konnte er nach Bezahlung seiner Schulden wieder die Weinfässer kaufen, die seine Besucher am Eingang seiner Hütte empfingen, und an den Sonntagen zu seinen Essenladen, bei denen das Hauptgericht ein schleimiges, fast flüssiges Omelett war, das er selbst mit dem Getue eines Meisterkochs zubereitete. Diese Geselligkeiten zogen erneut den Zorn des katholischen Priesters und des protestantischen Pastors von Punaauia auf sich, doch Paul schenkte ihnen nicht die geringste Beachtung.
    Er war gut aufgelegt, tatenlustig und zu seiner eigenen Überraschung bewegt, als er sah, wie die Taille und der Bauch seiner vahine an Umfang zunahmen. Das Mädchen litt in den ersten Monaten nicht unter Übelkeit und Erbrechen, wie Mette bei ihren sämtlichen Schwangerschaften. Im Gegenteil, Pau’ura setzte ihr normales Leben fort, als wäre sie sich nicht einmal bewußt, daß ein Wesen in ihrem Innern keimte. Im September, als ihr Bauch sich zu wölben begann, wuchs ihr eine Art sanfte Gelassenheit, eine gemessene Langsamkeit zu. Sie sprach leise, atmete tief, bewegte die Hände im Zeitlupentempo und lief mit weit nach außen gestellten Füßen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Koke verbrachte viel Zeit damit, sie zu beobachten. Wenn er sah, wie sie tief einatmete und dabei die Hände auf den Bauch legte, als wollte sie das Kind abhören, erfaßte ihn ein unbekanntes Gefühl: Zärtlichkeit. Wurdest du alt, Koke? Vielleicht. Konnte ein Wilder Freude empfinden über die universale Erfahrung der Vaterschaft? Ja, zweifellos, denn du warst glücklich über dieses Geschöpf deines Samens, das bald zur Welt kommen würde.
    Sein Seelenzustand spiegelte sich in fünf Bildern zum Thema der Mutterschaft wider, die er rasch malte: Te arii vahine (Die edle Frau); No te aha oe riri (Warum bist du böse?); Te tamari no atua (Der Gottessohn); Nave nave mahana (Köstliche Tage) und Te rerioa (Der Traum). Bilder, in denen du dich kaum wiedererkanntest, Koke, denn auf ihnen zeigte das Leben sich ohne Drama, Spannungen noch Gewalt, gelassen und ruhig, inmitten prachtvoll farbiger Landschaften. Die Menschen wirkten wie ein bloßer Auswuchs der paradiesischen Vegetation. Die Malerei eines zufriedenen Künstlers!
    Das Mädchen wurde drei Tage vor Weihnachten 1896 in der Abenddämmerung geboren, in der Hütte, in der sie lebten, mit Hilfe der örtlichen Hebamme. Es war eine Geburt ohne Komplikationen, vor dem Hintergrund der Weihnachtschöre, die die Mädchen und Jungen von Punaauia in der protestantischen und in der katholischen Kirche probten. Koke und Pierre Levergos feierten die Geburt mit einigen Gläsern Absinth, unter freiem Himmel, während sie bretonische Lieder anstimmten, die der Maler mit seiner Mandoline begleitete.
    »Ein Rabe«, sagte Koke plötzlich, während er zu spielen aufhörte und auf den großen Mangobaum neben ihnen zeigte.
    »Auf Tahiti gibt es keine Raben«, sagte der ehemalige Soldat überrascht und sprang auf, um nachzusehen. »Weder Raben noch Schlangen. Wußtest du das etwa nicht?«
    »Es ist ein Rabe«, beharrte Koke. »Ich habe viele in meinem Leben gesehen. Bei Püppchen

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