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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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schläfrig die Augen, öffnete sie nach einer Weile wieder und heftete sie einen Augenblick auf Koke, ohne die geringste Neugier. Die Mutterschaft hatte ihre Hüften voller gemacht, sie gerundet, und ihrem Bauch eine majestätische Schwere verliehen, die dich an die Bäuche und Hüften der schmachtenden Odalisken von Ingres,der Königinnen und mythologischen Frauen von Rubens und Delacroix erinnerte. Doch nein, nein, Koke. Dieser wunderbare matthäutige Körper mit goldenen Reflexen, mit festen Oberschenkeln, die sich in kräftigen, harmonisch geformten Unterschenkeln fortsetzten, war nicht europäisch, nicht westlich, nicht französisch. Er war tahitianisch. Er war maorisch. Er war es in der Selbstvergessenheit, in der Freiheit von Pau’uras Körperhaltung, in der unbewußten Sinnlichkeit, die aus jeder seiner Poren strömte, sogar in den Strähnen des schwarzen Haars, die noch schwärzer wirkten auf dem gelben Kissen – ein so kräftiges Goldgelb, daß es dich an die zügellosen Goldtöne des verrückten Holländers erinnerte, über die ihr in Arles so heftig gestritten hattet. In der Luft lag ein Aroma von Erregung und Begehren. Eine konzentrierte Sexualität, die dich trunkener machte als der Wein, den du hattest trinken wollen, als du deine vahine nackt in dieser Position liegen sahst, die deine Rettung war und dich von der Depression befreite.
    Er fühlte eine beginnende Erektion, aber er hörte nicht auf zu arbeiten. Es wäre ein Sakrileg, die Arbeit in diesem Augenblick zu unterbrechen, der Zauber würde nicht wiederkehren. Als er das benötigte Material beisammen hatte, war Pau’ura eingeschlafen. Er fühlte sich erschöpft, aber es war ein angenehmes Gefühl, verbunden mit einer großen inneren Ruhe. Morgen würdest du das Bild neu beginnen, Koke, dieses Mal ohne Wankelmut. Du wußtest genau, welches Bild du malen wolltest. Und auch, daß auf diesem Bild, hinter der nackten, goldenen, auf einem Bett ausgestreckten Frau, deren Kopf auf einem gelben Kissen ruhte, ein Rabe erscheinen würde. Und daß das Bild Nevermore heißen würde.
    Am nächsten Tag kam sein Freund Pierre Levergos wie an anderen Tagen in der Mittagszeit zur Hütte, um mit ihm zu plaudern und ein Glas zu trinken. Koke wies ihn abrupt ab:
    »Komm erst wieder, wenn ich dich rufe, Pierre. Ichmöchte nicht unterbrochen werden, weder von dir noch von sonst jemandem.«
    Er bat Pau’ura nicht, noch einmal die Position einzunehmen, in der er sie malte; genausogut hätte er den Himmel noch einmal um jenes letzte Licht bitten können, in dem er seine vahine gesehen hatte, ein Licht, das im Begriff war, die Gegenstände aufzulösen und auszulöschen, sie in Schatten zu tauchen, sie in ungewisse Formen zu verwandeln. Das Mädchen würde nie wieder die spontane Selbstvergessenheit, die absolute Passivität zeigen, in der er sie überrascht hatte. Das Bild war so lebendig in seiner Erinnerung, daß er es mit Leichtigkeit wiedergeben konnte, ohne eine Sekunde bei den Umrissen und der Linienführung der Gestalt zu zögern. Dagegen kostete es ihn maßlose Mühe, ihr Bild in jenes abnehmende, leicht bläuliche Licht zu tauchen, die Stimmung zu schaffen, die etwas von gespensterhafter Erscheinung, von Magie oder Wunder hatte und, du warst dir sicher, Nevermore sein Gepräge, seine Eigenart geben würde. Er arbeitete sorgfältig an der Form der Füße, so, wie er sie erinnerte, entspannt, irdisch, die Zehen auseinanderstehend und ein Gefühl von Solidität vermittelnd, das Gefühl, daß sie immer in direktem Kontakt mit dem Boden, in geschlechtlichem Verkehr mit der Natur gewesen waren. Und er verwandte große Sorgfalt auf den blutigen Stoffetzen, der vergessen neben dem rechten Fuß und Bein Pau’uras lag: züngelnde Flamme, Gerinnsel, das versuchte, sich den Weg in diesen sinnlichen Körper zu bahnen.
    Ihm wurde bewußt, daß es eine enge Verbindung zwischen diesem Bild und dem gab, das er 1892 von Teha’amana gemalt hatte: Manao tupapau (Der Geist der Toten wacht), sein erstes tahitianisches Meisterwerk. Das würde ein weiteres Meisterwerk sein, Koke. Reifer und tiefer als das andere. Kälter, weniger melodramatisch, vielleicht tragischer; dort die Angst Teha’amanas vor dem Gespenst; hier Pau’uras passive Resignation nach der Prüfung, nach dem Verlust ihrer wenige Tage alten Tochter, die weise, fatalistischeHaltung der Maori angesichts des Schicksals, für das der augenlose Rabe stand, der auf dem Bild Nevermore die Stelle des Dämons von Manao

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