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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Saint-Pierre als »Jüdin« beschimpften, oder mit den Frauen, die dich in der Weberwerkstatt für eine »Hure«hielten, möglich gewesen, wenn die Frauen eine Bildung erhalten hätten, die diesen Namen verdiente? Deshalb würden die Pflichtschulen für Frauen, wie sie von der Arbeiterunion vorgesehen waren, die Gesellschaft revolutionieren.
    Das Schiff legte, hundertdreiunddreißig Tage nachdem es in Bordeaux in See gestochen war, fast zwei Monate später als vorgesehen, im Hafen von Valparaíso an. Valparaíso bestand aus einer einzigen, unendlich langen Straße parallel zum Meer mit seinen schwarzen Sandstränden, und auf ihr bewegte sich eine bunte Menschenmenge, in der alle Völker der Erde vertreten zu sein schienen, nach der Vielzahl der Sprachen zu urteilen, die außer dem Spanischen gesprochen wurden: Englisch, Französisch, Chinesisch, Deutsch, Russisch. Für sämtliche Händler, Söldner und Abenteurer der Welt, die in Südamerika ein neues Leben beginnen wollten, war Valparaíso das Eingangstor für den Kontinent.
    Kapitän Chabrié brachte sie in einer Pension unter, die von einer Französin, Madame Aubrit, geführt wurde. Ihre Ankunft verursachte Aufsehen in dem kleinen Hafen. Alle kannten ihren Onkel Don Pío Tristán, den reichsten und mächtigsten Mann in Perus Süden, der eine Zeitlang hier in Valparaíso im Exil gelebt hatte. Die Nachricht von der Ankunft einer französischen Nichte Don Píos – noch dazu aus Paris! – rief die Bewohner auf den Plan. In den ersten drei Tagen mußte Flora sich damit abfinden, eine Prozession von Besuchern zu empfangen. Die großen Familien wollten der Nichte Don Píos ihre Aufwartung machen, der ihr Freund war, wie alle schworen, und sich mit eigenen Augen davon überzeugen, ob das, was die Pariserinnen der Legende nach waren – schöne, elegante Teufelinnen –, der Wirklichkeit entsprach.
    Mit den Besuchern traf eine Nachricht ein, die wie eine Bombe bei Flora einschlug. Ihre alte Großmutter, die Mutter Don Píos, in die sie so große Hoffnung gesetzt hatte, um anerkannt und in die Familie Tristán aufgenommen zuwerden, war am 7. April 1833 in Arequipa gestorben, am gleichen Tag, an dem Flora dreißig Jahre alt geworden war und sich auf der Méxicain eingeschifft hatte. Ein schlechter Anfang für dein südamerikanisches Abenteuer, Andalusierin. Chabrié tröstete sie, so gut er konnte, als er sah, daß sie leichenblaß geworden war. Flora wollte die Gelegenheit nutzen und ihm sagen, sie sei zu verwirrt, um ihm eine Antwort auf seinen Heiratsantrag zu geben, doch er kam ihr ahnungsvoll zuvor und ließ sie nicht zu Wort kommen:
    »Nein, Flora, sagen Sie mir nichts. Noch nicht. Das ist nicht der Augenblick für eine so wichtige Angelegenheit. Setzen Sie Ihre Reise fort, reisen Sie nach Arequipa zu Ihrer Familie, regeln Sie Ihre Probleme. Ich werde Sie dort besuchen, dann werden Sie mir Ihre Entscheidung mitteilen.«
    Als Flora Avignon am 18. Juli 1844 in Richtung Marseille verließ, war sie hoffnungsvoller als in den ersten Tagen in der Stadt der Päpste. Sie hatte ein Komitee der Arbeiterunion mit zehn Mitgliedern gegründet – Arbeiter der Tuchfabriken und der Eisenbahn sowie ein Bäcker – und an zwei lebhaften Geheimversammlungen mit den Karbonari teilgenommen, die noch immer in der Provence aktiv waren, obwohl sie unerbittlich verfolgt wurden. Flora erläuterte ihnen ihre Ideen, gratulierte ihnen zu dem Mut, mit dem sie für ihre republikanischen Ideale kämpften, brachte sie jedoch gegen sich auf, als sie ihnen erklärte, Geheimgesellschaften zu gründen und im Untergrund tätig zu sein seien Kindereien, romantische Ideen, ebenso veraltet wie die Pläne der Ikarier, das Paradies in Amerika zu erschaffen. Der Kampf müsse im hellen Tageslicht geführt werden, vor aller Augen, hier und überall, damit die revolutionären Ideen alle Arbeiter und Bauern, alle Ausgebeuteten ohne Ausnahme erreichten, denn nur sie konnten durch ihren Einsatz die Gesellschaft verändern. Die Karbonari hörten ihr verwirrt zu. Einige warfen ihr ungehalten vor, Kritik zu äußern, um die niemand sie gebeten hatte. Andere schienen beeindruckt zu sein von ihrerKühnheit. »Nach Ihrem Besuch werden wir Karbonari vielleicht das Verbot, Frauen in unsere Gesellschaft aufzunehmen, revidieren müssen«, sagte der Anführer, Monsieur Proné, zum Abschied zu ihr.

X

Nevermore
Punaauia, Mai 1897
    Als Pau’ura ihm Ende Mai 1896 sagte, sie sei schwanger, gab Koke der Nachricht keine große

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