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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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kennenlernte, sehr viel jünger wirkte als achtundvierzig Jahre. Er sprach Französisch so gut wie Deutsch und Spanisch. Seit jungen Jahren Söldner, war er auf den Schlachtfeldern Europas groß geworden, wo er während der Napoleonischen Kriege in den Reihen der Allianz gekämpft hatte, und danach auf der Suche nach weiteren Kriegen, in denen er sich als Militäringenieur verdingen konnte, nach Südamerika gekommen. Die peruanische Regierung hatte ihn angeheuert und zum Obersten des peruanischen Heeres ernannt. Und so nahm er seit nunmehr vierzehn Jahren an sämtlichen Bürgerkriegen teil, die die junge Republik seit dem Tag ihrer Unabhängigkeit erschüttert hatten, ständig das Lager wechselnd, je nach den Angeboten, die er von den kämpfenden Parteien erhielt. Flora sollte bald entdecken, daß dieses Wechseln des politischen Lagers – angefangen bei ihrem Onkel Don Pío, der es vom Vizekönig der spanischen Kolonie zum Präsidenten der Republik gebracht hatte – der Lieblingssport der peruanischen Gesellschaft war. Seltsam nur, daß alle sich dessen rühmten, als wäre es eine raffinierte Kunst, den Gefahren auszuweichen und Nutzen aus dem chronischen Zustand bewaffneter Konflikte zu ziehen,in dem das Land lebte. Doch niemand brüstete sich dieses Mangels an Prinzipien, Idealen und Loyalitäten, dieser reinen Suche nach Abenteuer und Sold, die den Ausschlag gaben, wenn es galt, sich für eine Seite zu entscheiden, so charmant und ungezwungen wie Oberst Clemente Althaus. Er lebte in Arequipa, weil er sich in dieser Stadt, in die er mit dem Generalstab Simón Bolívars gekommen war, in Manuela de Flores, Floras Kusine, Tochter einer Schwester von Don Pío und Don Mariano, verliebt und sie geheiratet hatte. Da seine Frau sich in Camaná befand, bei Don Pío und dessen Hofstaat, wurde Althaus zum ständigen Begleiter Floras. Er zeigte ihr alle Sehenswürdigkeiten der Stadt, von ihren jahrhundertealten Kirchen und Klöstern bis zu den Mysterienspielen, die unter freiem Himmel, auf der Plaza de las Mercedes, vor einer bunten Menge aufgeführt wurden, die Stunden um Stunden das Mienenspiel und die Deklamationen der Schauspieler verfolgte. Er führte sie zu den Hahnenkämpfen in den beiden Arenen von Arequipa, zu den Stierkämpfen auf der Plaza de Armas, ins Theater, wo klassische Komödien von Calderón de la Barca oder anonyme Farcen aufgeführt wurden, und zu den häufig stattfindenden Prozessionen, die Flora auf den Gedanken brachten, daß so oder ähnlich die Bacchanalien und Saturnalien gewesen sein mußten: schamlose Possen, um das Volk zu unterhalten und es weiter seiner Lethargie zu überlassen. Zambos und Neger zogen, von einer Musikkapelle angeführt, als Pierrots, Harlekine, Hanswürste verkleidet oder hinter Masken verborgen, durch die Straßen und amüsierten den Pöbel unter allerlei Verrenkungen mit ihren dummen Streichen. Danach kamen, eingehüllt in Weihrauch und anderes Räucherwerk, die Büßer, Ketten hinter sich her schleppend, Kreuze tragend, sich geißelnd, gefolgt von einer anonymen Masse von Indios, die in Quechua beteten und laut weinten. Die Träger der Traggestelle stärkten sich mit Branntwein und Alkohol aus vergorenem Mais – den sie chicha nannten – und waren völlig betrunken.
    »Dieses abergläubische Volk bringt die schlechtesten Soldaten der Welt hervor«, sagte Althaus lachend zu dir, und du hörtest ihm gebannt zu. »Feige, dumme, schmutzige, undisziplinierte Soldaten. Man kann sie nur durch Terror daran hindern, vor dem Kampf zu fliehen.«
    Er erzählte dir, dank ihm sei in Peru die deutsche Sitte eingeführt worden, daß die Offiziere selbst, nicht ihre Untergebenen, die körperlichen Strafen an der Truppe vollzogen.
    »Die Peitsche des Offiziers macht den guten Soldaten, so wie die Peitsche des Dompteurs das Raubtier im Zirkus gefügig macht«, erklärte er amüsiert. Du dachtest: ›Er ist wie einer dieser barbarischen Germanen, die dem Römischen Reich ein Ende machten.‹
    Eines Tages, als sie sich mit einigen Freunden nach Tingo begeben hatten, um die Thermalbäder kennenzulernen (es gab mehrere in der Umgebung von Arequipa), trennten sie und Althaus sich von den anderen, um einige Höhlen zu besichtigen. Plötzlich nahm der Deutsche sie in die Arme – du fühltest dich zerbrechlich, verletzlich wie ein kleiner Vogel, gefangen in diesen Muskeln –, streichelte ihre Brüste und küßte sie auf den Mund. Flora mußte sich gewaltig anstrengen, um nicht den Zärtlichkeiten

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