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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Nationalgarde zu verkleiden und in einer Hirtenhütte in den Bergen unterzubringen. Der Vorschlag brachte alle Anwesenden zum Lachen. Flora erzählte ihnen, sie habe bereits ein ähnliches Erlebnis gehabt. Und sie berichtete ihnen von ihren Abenteuern in London, wo sie vor fünf Jahren lange Monate verbracht hatte, fast immer als Mann gekleidet, um sich frei bewegen und ihre sozialen Forschungen betreiben zu können. Während sie sprach, versagten ihre Kräfte, und sie wurde ohnmächtig.
    Auch in Arequipa hattest du dich als Mann verkleidet, beim Karneval, und als Husar mit Degen, Federhut, Stiefeln und Schnurrbart an einem Maskenball teilgenommen. Die Angehörigen der »guten Gesellschaft« amüsierten sich nachts, indem sie sich mit parfümierten Blumen, Papierschlangen oder Duftwassern bewarfen, doch am Tag feierten sie den Karneval genau wie die einfachen Leute und gingen mit Wasserkübeln und hohlen, mit Farbwasser gefüllten Eiern in wahren Straßenschlachten aufeinander los. Von Don Píos Dachterrasse aus betrachtetest du das Schauspiel mit der Faszination, die dieses Land dir einflößte, das so verschieden war von denen, die du kanntest.
    Alles in Arequipa erstaunte und verwirrte dich und warf deine Vorstellungen über die Menschen, die Gesellschaft und das Leben über den Haufen. Zum Beispiel, daß das einträglichste Geschäft der religiösen Orden darin bestand, den Sterbenden die Ordenskleider zu verkaufen, denn in Arequipa war es Sitte, die Toten in religiösen Gewändern zu bestatten. Auch, daß das gesellschaftliche, mondäne Leben in dieser kleinen Stadt intensiver war als in Paris. Den ganzen Tag verbrachten die Familien mit gegenseitigen Besuchen; am Nachmittag aßen sie die köstlichen Biskuits und andere Süßigkeiten, die sie bei den in Klausur lebenden Nonnen von Santa Catalina, Santa Teresa und Santa Rosa kauften, tranken aus Cusco gebrachte Schokolade und rauchten – die Frauen mehr als die Männer – pausenlos. Klatsch, Gerüchte, Enthüllungen, üble Nachrede und Indiskretionen, die um intime Einzelheiten und Schandfleckeder Familien kreisten, waren das Glück der Tischgäste. Bei all diesen Treffen sprach man natürlich mit Wehmut, Neid und Verzweiflung von Paris, das für die Bewohner Arequipas so etwas wie eine Außenstelle des Paradieses war. Sie bestürmten dich mit Fragen über das Pariser Leben, und du, der es unbekannter war als ihnen, mußtest dir alle möglichen Dinge ausdenken, um sie nicht zu enttäuschen.
    Nach anderthalb Monaten in Arequipa war der Onkel Don Pío noch immer in Camaná und ließ nicht erkennen, daß er an Rückkehr dachte. War diese lange Abwesenheit eine Strategie, um dich in deinen Forderungen zu entmutigen? Fürchtete Don Pío, du könntest neue Beweise mitgebracht haben und so die Justiz zwingen, dich zur ehelichen Tochter und somit zu Don Mariano Tristáns berechtigter Erbin zu erklären? Mit diesen Überlegungen war sie beschäftigt, als man ihr ankündigte, daß Kapitän Zacharie Chabrié, der gerade in Arequipa eingetroffen sei, sie am Nachmittag besuchen werde. Das Erscheinen des bretonischen Seemannes, an den sie nicht mehr gedacht hatte, seit sie sich in Valparaíso von ihm verabschiedet hatte, wirkte wie ein weiteres Erdbeben auf sie. Er würde ohne jeden Zweifel darauf beharren, sie zu heiraten.
    Am ersten Tag verlief die Wiederbegegnung mit Chabrié freundlich und herzlich, dank der Anwesenheit eines halben Dutzends Verwandter im Salon, die den Seemann daran hinderten, die leidenschaftliche Angelegenheit zur Sprache zu bringen, die ihn hergeführt hatte. Doch seine Augen sagten Flora, was sein Mund verschwieg. Am nächsten Tag erschien er am Vormittag, und Flora konnte nicht vermeiden, allein mit ihm zu sein. Auf den Knien liegend, ihr die Hand küssend, flehte Zacharie Chabrié sie an, ihm ihr Jawort zu geben. Er werde den Rest seines Lebens damit verbringen, sie glücklich zu machen, er wäre ein vorbildlicher Vater für Aline; Floras Töchterchen würde wie sein eigenes sein. In deiner hilflosen Benommenheit warst du nahe daran, ihm die Wahrheit zu sagen: daß du eine verheirateteFrau warst, nicht nur ein Kind hattest, sondern zwei (denn das dritte war gestorben), und gesetzlich und moralisch gehindert, noch einmal zu heiraten. Doch dich hielt die Furcht zurück, Chabrié könnte dich in einem Anfall von Verzweiflung bei der Familie Tristán verraten. Was würde dann geschehen? Diese Gesellschaft, die dich mit offenen Armen aufgenommen hatte,

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