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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sie auch aus der Gegend stammen konnte, denn in Marseille wurde Französischmit einer eigenartigen Betonung gesprochen, die es für Flora bisweilen unverständlich machte. Madame Victoire überschüttete sie mit Schmeicheleien – was für prächtiges kohlschwarzes Haar, diese Augen glühten bestimmt wie Leuchtkäfer in der Nacht, was für eine zarte Figur, was für zierliche Füße –, bis Flora errötete.
    »Sie sind sehr freundlich, Madame«, fiel sie ihr schließlich ins Wort. »Aber ich habe viele Verpflichtungen und kann mich nicht lange aufhalten. Warum wollten Sie mich sehen?«
    »Um dich reich und glücklich zu machen«, sagte Madame Victoire vertraulich, während sie die Arme ausbreitete und die Augen aufriß, als umfinge sie ein Universum aus Luxus und Fortüne. »Mein Besuch kann dein Leben ändern. Nie wirst du Worte genug finden, um es mir zu danken, meine Schöne.«
    Sie war Kupplerin. Sie kam, um dir zu sagen, daß ein sehr reicher, großzügiger und gutaussehender Mann aus der oberen Gesellschaft von Marseille sie gesehen und sich in sie verliebt habe: Dieser Herr, ein romantischer Geist, glaube an die Liebe auf den ersten Blick und sei bereit, sie aus dieser schäbigen Pension herauszuholen, ihr eine Wohnung einzurichten und sich um ihre Bedürfnisse und Launen zu kümmern, so daß sie fortan ein Leben nach dem Maß ihrer Schönheit führen könne. Was meintest du dazu, Florita?
    Flora, die perplex, mit glühendem Gesicht zugehört hatte, wurde von einem Lachanfall gepackt, der ihr die Luft abschnürte. Madame Victoire lachte ebenfalls, weil sie glaubte, das Geschäft sei abgeschlossen. Aber sie erlebte eine gewaltige Überraschung, als sie sah, wie aus Floras Lachen Wut wurde und sie sich unter Beschimpfungen auf sie stürzte und ihr drohte, sie bei der Polizei anzuzeigen, wenn sie nicht sofort verschwände. Die Kupplerin entfernte sich, wobei sie vor sich hin murrte, Flora würde diese kindische Reaktion noch bedauern, wenn sie erst einmal nachgedacht hätte.
    »Man muß nach dem Glück greifen, wenn es sich bietet, meine Schöne, denn es kehrt nie zurück.«
    Flora wurde nachdenklich. Die Empörung wich einem Gefühl der Eitelkeit, von innerer Koketterie. Wer wollte dein Liebhaber und Beschützer sein? Ein hinfälliger, alter Mann? Du hättest Interesse heucheln, Madame Victoire seinen Namen entlocken sollen. Dann hättest du vor ihm erscheinen und Rechenschaft von ihm fordern können. Daß einer dieser reichen Lüstlinge aus Marseille mit einem solchen Ansinnen an dich herantrat, hieß jedoch auch, daß du trotz deiner vielen Mißgeschicke, trotz deines ruhelosen Lebens, trotz der Krankheiten noch immer eine attraktive Frau sein mußtest, die imstande war, die Männer zu entflammen, sie zu närrischen Handlungen zu treiben. Deine einundvierzig Jahre standen dir gut, Florita. Hatte Olympe dir nicht bisweilen in leidenschaftlichen Augenblicken gesagt: »Ich glaube, du bist unsterblich, mein Liebling?«
    In Arequipa hielten alle die kleine Französin für eine Schönheit. Das sagten ihr seit dem ersten Tag ihre Tanten und Onkel, ihre Kusinen und Vetter, ihre Nichten und Neffen und der bunte Haufe von Verwandten der Verwandten, von Freunden der Familie und von vornehmen Neugierigen beiderlei Geschlechts, die in den ersten Wochen kamen, um Flora ihre Aufwartung zu machen, ihr kleine Geschenke zu bringen und diese frivole, klatschsüchtige, krankhafte Neugier zu befriedigen, eine endemische Krankheit der »guten Gesellschaft« Arequipas (wie sie selbst sie nannten). Mit welcher Distanziertheit und Verachtung sahst du jetzt all diese Leute, die in Peru geboren waren und lebten, aber nur von Frankreich und Paris träumten, diese neuen Republikaner, die vorgaben, Aristokraten zu sein, diese hochanständigen Damen und Herren, deren Leben nicht schaler, parasitärer, egoistischer und oberflächlicher sein konnte. Jetzt warst du imstande, dieses strenge Urteil zu fällen. Damals nicht. Noch nicht. In den ersten Monaten im Land deines Vaters fühltest du dichgeschmeichelt, lebtest glücklich unter reichen Bürgern. Diese privilegierten Blutsauger mit ihren Liebenswürdigkeiten und Einladungen, ihrer Zuneigung und Galanterie gaben dir das Gefühl, ebenfalls reich zu sein, ebenfalls anständig, bürgerlich und aristokratisch zu sein, Florita.
    Sie glaubten natürlich, du seist Jungfrau und unverheiratet. Niemand ahnte etwas von dem dramatischen Eheleben, vor dem du geflohen warst. Wie schön, morgens

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