Das Paradies
auf der Leinwand sah, dachte er nur das eine: Wie bekomme ich meine Cousine ins Bett.
Die Tänzerin hieß Dahiba, und ihr Anblick, als sie in glitzernden Schuhen und einem Rita-Hayworth-Abendkleid mit tiefem Ausschnitt über die Leinwand schwebte und dabei unnachahmlich Hüften, Brüste und die langen Beine bewegte, ließ sein Blut zu glühendem Feuer werden. Der einundzwanzigjährige Omar glaubte zu explodieren. Aber nicht Dahiba war das Ziel seiner jugendlichen Leidenschaft, sondern die siebzehnjährige Jasmina, die in dem dunklen Kino neben ihm saß. Ihr Arm streifte seinen Arm, und der schwere Duft ihres Moschusparfüms machte ihn benommen. Omar verzehrte sich nach seiner Cousine; sein Verlangen nach ihr war an dem Abend entflammt, als er mit der Familie eine Aufführung ihrer Ballettschule besucht hatte. Jasmina tanzte in einem Trikot, Tutu und weißen Strumpfhosen. Damals war sie noch fünfzehn gewesen, und Omar hatte zum ersten Mal festgestellt, daß sie kein Mädchen mehr war.
»Ist Dahiba nicht
wundervoll
?« flüsterte Jasmina verzückt, ohne den Blick von der Leinwand zu wenden.
Omar konnte nicht antworten. Er stand in Flammen. Er wußte nicht, wie es war, mit einer Frau zu schlafen, denn der Islam verbot den außerehelichen Geschlechtsverkehr. Ein junger Mann mußte damit warten, bis er eine Frau hatte. Erst dann war ihm Sex erlaubt. Im allgemeinen durfte ein Mann wie Omar dann an Sex denken, wenn er sein Studium absolviert und eine Stellung hatte, denn dann konnte er die Verantwortung für eine Familie übernehmen. Wie so viele seiner Freunde wußte auch Omar, daß er frühestens mit fünfundzwanzig heiraten würde. Da die Gesellschaft jungen Unverheirateten nicht einmal erlaubte, Händchen zu halten, sah Omar hin und wieder den einzigen Ausweg, sich in den öffentlichen Bädern Befriedigung mit ebenfalls sexuell frustrierten Altersgenossen zu verschaffen. Aber die Befriedigung in den heißen Dampfbädern hielt nicht lange vor. Außerdem wollte er eine Frau.
»
Bismillah
! Dahiba ist eine Göttin!« Jasmina seufzte. Es war ein typisch ägyptischer Film: eine musikalische Komödie über Verwechslungen und unglückliche Liebe; ein Mädchen vom Land erobert einen Millionär, und nachdem die dunklen Machenschaften der reichen Nebenbuhlerin enttarnt sind, heiratet er das Mädchen. Das Kino war voll besetzt und laut. Die Zuschauer sangen die Lieder mit und klatschten zu Dahibas Tanz den Rhythmus. In den Gängen verkaufte man belegte Brote, gebratene Fleischbällchen, Mineralwasser und Limonade. Wenn der gekaufte Bösewicht auf der Leinwand erschien – erkennbar am schmalen Lippenbart und am Fez –, beschimpften ihn die Zuschauer lautstark und warfen zerknülltes, fettiges Papier auf die Bühne. Und als Dahiba in der Rolle der jungfräulichen Fatima seine Annäherungsversuche entschieden abwies, jubelten alle so laut, daß man befürchten mußte, die Decke des Kairo-Roxy werde einstürzen.
Es war Donnerstag und der richtige Abend zum Ausgehen, denn am Freitag mußte man nicht arbeiten oder studieren. Ägypten produzierte inzwischen fast ebensoviele Filme wie Hollywood. Man konnte deshalb an jedem Tag im Jahr ins Kino gehen, ohne einen Film zweimal zu sehen. Aber die meisten gingen donnerstags ins Kino, die jungen Raschids natürlich auch: Omar und seine Schwester Tahia, Jasmina und ihr Bruder Zacharias. Amira war an diesem Abend ausnahmsweise nicht dabei.
Sie trugen ihre besten Sachen – Omar und Zacharias maßgeschneiderte Hemden und Hosen. Tahia und Jasmina hatten Parfüm angelegt, Omar und Zacharias teures Eau de Cologne. Die Mädchen trugen Blusen mit langen Ärmeln und Röcke, die bis über die Knie reichten. Der Rocksaum wurde in Europa zwar immer kürzer, aber die jungen Raschids durften das Haus erst verlassen, nachdem Umma ihren Aufzug begutachtet hatte, und Khadijas strenge Moralvorstellungen ließen ein entblößtes Knie nicht zu. »Eine herausfordernd gekleidete Frau«, sagte sie, »weist jeden auf schamlose Sittenlosigkeit hin. Ein Mann wird diese Frau nicht achten, und deshalb provoziert sie sexuelle Belästigungen. Zu meiner Zeit schützte der Schleier eine Frau auf der Straße vor Zudringlichkeiten. Die Melaja sollte noch immer gesetzlich vorgeschrieben sein.«
Der Film endete unter ohrenbetäubendem Beifall. Dann erhoben sich die zweitausend Zuschauer im Kino, weil die ägyptische Nationalhymne gespielt wurde, während das Porträt von Präsident Nasser von der Leinwand auf sie
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