Das Paradies
wundervolle,
geheime
Pläne, und sie konnte es kaum erwarten, sie zu Hause ihrer Schwester Amira anzuvertrauen.
Omar entging nicht, welche Blicke die jungen Männer verstohlen Jasmina zuwarfen und wie sie schnell den Kopf zur Seite drehten, wenn sie die männlichen Verwandten in ihrer Begleitung sahen. Ein herausfordernder Blick, vielleicht eine kühne Anrede, und Omar und Zacharias hätten den Zudringlichen mit Beschimpfungen und Fäusten davonjagen müssen. Im vergangenen Monat waren die fünf jungen Raschids zusammen einkaufen gewesen. Sie hatten ein Geburtstagsgeschenk für Umma gesucht. Jasmina betrachtete sich die Angebote in einem anderen Teil des Geschäfts, als ein junger Mann sie anstieß und ihr die Hand auf die Brust legte. Sie hatte ihn scharf zurechtgewiesen; Omar und Zacharias hatten den Kerl auf der Stelle aus dem Laden geworfen und ihn solange beschimpft und laut beschuldigt, bis andere Passanten ebenfalls ihre Partei ergriffen, und der junge Mann mit hochrotem Kopf schnell davonlief.
In einer Menschenmenge, etwa auf einem Markt oder in einem überfüllten Bus, boten sich einem jungen Mann die einzigen Gelegenheiten, eine Frau zu berühren. Omar hoffte immer auf diese »zufälligen« Berührungen und Zusammenstöße; manchmal folgte er sogar einer Frau in der Hoffnung auf eine günstige Gelegenheit zu einem »unbeabsichtigten« Körperkontakt. Aber bislang war er noch nicht unangenehm aufgefallen, und keine Brüder oder männlichen Verwandten hatten sich auf ihn gestürzt, um die bedrohte Familienehre zu verteidigen. Während sie jetzt über den Platz der Befreiung liefen, Taxis und Bussen auswichen, sagte sich Omar, daß Jasmina ein ideales Opfer für seine Wünsche war. Schließlich war
er
in diesem Fall der männliche Verwandte. Bei wem sollte sie sich über ihn beschweren?
Bestimmt nicht bei ihrem Vater, denn Omar kannte das schmutzige Geheimnis seines Onkels. Bei diesem Gedanken mußte er laut lachen.
»Wie bist du zu diesen Narben gekommen?«
Ibrahim löste sich von der Frau und griff nach den Zigaretten neben dem Bett. Sie erkundigten sich immer nach den Narben, wenn er mit ihnen geschlafen hatte und sie seinen Körper genauer betrachteten. Anfangs hatte es ihn verlegen gemacht, aber inzwischen antwortete er automatisch. »Das war während der Revolution«, sagte er in einem Ton, der sie üblicherweise zum Schweigen brachte.
Aber diese Frau ließ nicht locker. »Ich wollte nicht wissen wann, sondern wie?«
»Mit einem Messer.«
»Ja, aber …«
Er setzte sich auf und zog das Laken über die Schenkel und um den Unterleib, um die bleibenden Erinnerungen an die Folter zu verhüllen, die er im Gefängnis hatte über sich ergehen lassen müssen. Seine Peiniger fanden es komisch, als sie ihm die Schnittwunden beibrachten und taten, als wollten sie ihn kastrieren, und erst im allerletzten Moment innehielten, als er schrie und sie anflehte, es nicht zu tun. Niemand, nicht einmal seine Mutter oder Alice, nicht einmal sein bester Freund Hassan wußten etwas über Ibrahims Verhöre im Gefängnis.
Die Frau legte ihm den Arm um die Hüfte und küßte seine Schulter. Aber er stand auf, schlang das Laken wie eine Toga um sich und ging zum Fenster. Kairos helle Lichter und die Autoscheinwerfer strahlten ihn an. Er hatte das Fenster geschlossen, aber er hörte den Lärm der drei Stockwerke tiefer gelegenen Straße – die Kakophonie der Hupen, das Geplärr der Radios in den Cafés, die Musik der Straßenmusikanten, Lachen, Rufen und Geschrei.
Ibrahim staunte, wie Ägypten sich in den zehn Jahren seit der Revolution verändert hatte. Er dachte daran, wie sich nach dem Suezkrieg, in dem Ägypten von Israel mit Unterstützung von Frankreich und England vernichtend geschlagen worden war, der nationale Stolz explosionsartig entfaltet hatte. Die Parole »Ägypten den Ägyptern« verbreitete sich vom Sudan bis zum Nildelta, überschwemmte das Land wie eine Springflut und führte zu einem Massenexodus der Ausländer aus Ägypten. Jetzt hatte sich das Gesicht von Kairo verändert. Alle Restaurants, Geschäfte und Fabriken befanden sich in ägyptischem Besitz; Angestellte, Kellner und Beamte waren Ägypter. Es gab noch andere, weniger auffälligere Zeichen dafür, daß die Verantwortung in neue Hände übergegangen war: Gehwege verfielen und wurden nicht instandgesetzt, von den Fassaden blätterte die Farbe ab, Geschäfte besaßen nicht mehr das elegante europäische Aussehen. Aber darum kümmerten sich
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