Das Paradies
darauf vorbereiten, es dir erklären und dich an diesem Ritual teilnehmen lassen sollen. Aber Doreja sagte, es sei bei euch nicht üblich, und wir haben im Augenblick so viele Sorgen …«
»Ich habe versucht, eure Sitten zu verstehen, Mutter Khadija. Ich habe versucht, Teil dieser Familie zu werden! Aber ihr führt ein unnatürliches Leben! Sieh dich an! Du bist in diesem Haus wie in einem Gefängnis eingeschlossen! Das ist nicht natürlich!«
Khadija sah sie erschrocken an. »Und was ist natürlich? Eure Sitten?«
»Die Europäer verstümmeln ihre Töchter nicht«, sagte sie und stand zitternd auf, »du hättest das nicht tun dürfen, wenn Ibrahim hier wäre!«
»Natürlich hätte ich das getan. Sie sind jetzt in dem Alter. Ich konnte nicht warten, bis mein Sohn aus dem Gefängnis zurück ist. Man führt diesen Eingriff am besten bei kaltem Wetter durch, denn dann heilt die Wunde schneller,
inschallah
.«
»Warum tut ihr das mitten in der Nacht, als sei es ein Verbrechen?« rief Alice. »Wenn ein Junge beschnitten wird, wird das groß gefeiert!«
»Ja, die Beschneidung eines Jungen wird gefeiert. Aber die Beschneidung eines Mädchens dreht sich um den sündhaften Aspekt ihres Wesens. Deshalb muß es in aller Verschwiegenheit geschehen, und es wird nie darüber gesprochen. Ibrahim hätte an diesem Ritual nicht teilgenommen, denn es ist die Aufgabe der Frauen, aber er hätte von mir erwartet, daß ich die Beschneidung durchführe.«
»Das glaube ich nicht. Vielleicht ist es bei Jasmina etwas anderes. Sie ist die Tochter einer Ägypterin, aber Amira ist Engländerin.«
»Und eine Muslimin«, erklärte Khadija ruhig, »damit warst du bei der Heirat einverstanden.«
»Und wo ist mein Mann? Vor einem Monat haben wir den Brief bekommen, in dem man uns seine Entlassung angekündigt hat. Wo ist er? Warum tust du nichts, um ihm zu helfen?«
»Gott wählt den Zeitpunkt seiner Entlassung«, erwiderte Khadija.
»Ich glaube, Ibrahim wird nicht nach Hause zurückkehren. Ich glaube, dieser Brief war auch nur eine Lüge, wie alle hier lügen.«
»Das darfst du nicht sagen …« Khadija hätte ihr nur allzugern von Safeja Rageeb erzählt.
Alice rannte aus dem Schlafzimmer und schlug die Tür hinter sich zu. In ihrem Zimmer fiel sie weinend auf ihr Bett. Ibrahim war tot. Sie wußte es. Hassan hatte recht. Sie würde keinen Tag länger in Ägypten bleiben. Sie würde mit ihrer Tochter nach England zurückkehren – in ihre Heimat. Sie hätte schon längst mit Edward das Land verlassen sollen.
Mit Tränen in den Augen holte sie ihre Koffer aus der Kleiderkammer und packte ihre Sachen hinein. Dann dachte sie an Eddie. Ich muß Eddie sagen, daß er auch packen soll. Wir werden noch heute nacht das Haus verlassen!
Wenn man uns nicht ausreisen läßt, wird Eddie mir helfen, eine Wohnung zu finden. Ich werde Amira zu mir nehmen … wir drei werden dort zusammen wohnen, bis ich alle erforderlichen Papiere habe …
Als sie seine Tür erreichte, wollte sie zuerst klopfen, aber dann fiel ihr ein, daß er meist tief und fest schlief und ihr Klopfen nicht hören würde. Sie betrat das Zimmer, um ihn aufzuwecken.
Aber in seinem Wohnzimmer brannten alle Lampen. Zwei Männer waren dort, und Alice begriff nicht sofort, was sie taten. Edward hatte sich vorgebeugt, Hassan al-Sabir stand hinter ihm. Ihre Hosen lagen am Boden.
Überrascht starrten sie Alice an.
Alice stieß einen Schrei aus und rannte davon.
Hassan holte sie im großen Salon ein. Er packte ihren Arm und drehte sie heftig herum. Das Mondlicht fiel auf ihr bleiches Gesicht. »Hast du es nicht gewußt?« fragte er lächelnd. »Deinem Blick nach nein. Ich würde sagen, du hattest nicht die leiseste Ahnung.«
»Du bist ein Ungeheuer«, keuchte sie.
»Ich? Wieso ich? Deinen Bruder kannst du beschimpfen, denn er übernimmt die Rolle der Frau. Er muß sich schämen.«
»Du hast ihn verführt!«
»Ich habe
ihn
verführt?« Hassan lachte. »Meine liebe Alice. Denk nach! Wer ist wohl auf diese Idee gekommen? Edward wollte mich seit seiner Ankunft. Du dachtest, er sei in Nefissa verliebt, nicht wahr? Oh nein, er hatte es auf mich abgesehen!«
Sie wollte sich von ihm losreißen, aber er zog sie an sich und sagte bitter lächelnd: »Warum bist du so schockiert? Schließlich habe ich mit Edward nur das gemacht, was ihr Engländer seit achtzig Jahren mit Ägypten getan habt.«
»Du ekelst mich an!« Alice schluchzte heftig.
»Das hast du mir schon einmal gesagt. Und da
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