Das Paradies
Feminismus sei eine Waffe des imperialistischen Westens, mit der die arabische Gesellschaft korrumpiert und unsere kulturelle Identität zerstört werden soll.«
»Glauben Sie das?«
»Wenn es so wäre, hätte ich nicht Ihr Nachwort veröffentlicht. Wußten Sie, daß die Abendausgabe im November so schnell verkauft war, daß wir nachdrucken mußten und mit vielen Anfragen bestürmt wurden? Die meisten kamen von Frauen, aber es waren auch Männer darunter.«
Er schwieg, und da sie nichts erwiderte, sagte er: »Warum kämpfen wir gegeneinander? Muslime oder Christen, wir sind alle Araber.«
»Es tut mir leid«, sagte Jasmina, die ihm nicht in die Augen blicken konnte, »aber mein Onkel wurde von Christen überfallen. Sie haben versucht, ihn aufzuhängen … Es war schrecklich.«
»Schlechte Menschen gibt es auf jeder Seite. Glauben Sie, wir Christen sind alle Mörder? Das Christentum ist eine Religion des Friedens …«
»Ich muß gehen«, sagte sie und eilte an ihm vorbei in das vordere Büro. »Bitte vergeben Sie mir, aber …«
Plötzlich rannten zwei junge Männer in weißen Galabijas durch die Gasse und riefen: »Christenhunde!« Jasmina wich gerade noch rechtzeitig zurück, als sie begannen, mit Steinen zu werfen. Das letzte Glas im Fenster zerbrach, und die Splitter flogen durch die Luft. Jasmina stieß einen entsetzten Schrei aus, und Jakob zog sie schnell in das Hinterzimmer. Sie klammerten sich aneinander und lauschten mit angehaltenem Atem auf die Schritte, die in der Gasse verhallten. Als wieder Stille eingekehrt war, hielten sie sich immer noch fest.
»Ist Ihnen etwas geschehen?« murmelte Jakob und drückte Jasmina besorgt an sich.
Sie flüsterte: »Nein«, und fühlte seinen Herzschlag an ihrem Herzen. Dann suchte sein Mund ihren Mund. Er küßte sie, und Jasmina küßte ihn wieder.
Plötzlich löste sie sich von ihm: »Zeinab! Meine Tochter ist da draußen!«
Sie traf Radwan in der Gasse. Er kam ihr entgegengerannt. Eine Hand hatte er an der Pistole, die er unter seiner Jacke trug.
»Es ist nichts geschehen!« stieß sie atemlos hervor. »Mir fehlt nichts! Es war nur … ein schlechter Scherz.«
Der Syrer starrte Jakob mißtrauisch an, und Jasmina schlug das Herz bis zum Hals. Sie war mit einem Mann allein gewesen, der kein Verwandter war. Und sie hatte sich von ihm küssen lassen. Radwan hätte Mansour dafür umgebracht, wenn er es gewußt hätte.
»Es ist alles in Ordnung, Radwan«, sagte sie. »Sajjid Jakob Mansour ist ein alter Freund. Mir ist wirklich nichts geschehen. Bitte geh zum Wagen zurück. Sag Zeinab, ich komme gleich nach.«
Der Leibwächter ging, und Jasmina drehte sich nach Jakob um. »Ich werde nicht mehr hierher kommen«, sagte sie. »Und bitte … bleiben Sie meinen Vorstellungen fern. Sie und ich – das kann nicht sein. Die Gefahr ist zu groß und …« Ihr brach die Stimme. »Ich muß an meine Tochter denken. Gott behüte Sie, Jakob. Möge Ihr Gott Sie beschützen.
Allah ma’aki
.«
Über der Wüste von Nevada dämmerte der Morgen, als Rachel sich Amy zuwandte, die am Steuer saß, und sagte: »Ich halte es nicht mehr aus. Wirst du mir
bitte
endlich sagen, wohin wir fahren?«
Ihre Freundin lächelte, blickte auf die Uhr und trat aufs Gas. »Du wirst schon sehen. Wir sind bald da.«
Bald wo? dachte Rachel und starrte verschlafen auf die öde Landschaft. Als vor zwei Stunden die Lichter von Las Vegas vor ihnen aufgetaucht waren, hatte sie kopfschüttelnd gedacht: Amy hat anscheinend zuviel Geld und will es beim Glücksspiel verlieren. Aber es stellte sich heraus, daß sie nur anhielten, um zu frühstücken.
Eine Stunde später fuhren sie bereits wieder auf dem Highway nach Norden durch eine kahle, felsige Gegend. Die ersten Sonnenstrahlen hinter den Hügeln zu ihrer Rechten färbten die Wüste rot. Gespenstische Kakteen und die nackten Berge, deren westliche Flanken dunkle Schatten durchschnitten, verloren sich in der endlosen Weite. Es war schön, wenn auch auf eine beängstigende Weise, denn Rachel hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden oder weshalb sie hier waren.
»Du benimmst dich in letzter Zeit ziemlich verrückt, Amy«, sagte sie gähnend zu ihrer Freundin. »Und ich bin verrückt, weil ich mitgekommen bin. Wohin fahren wir denn, um alles in der Welt?«
Amy lachte. »Nun sei kein Spielverderber. Du hast mir seit Wochen erklärt, wie dringend du einmal Luftveränderung brauchst, und sei es auch nur für einen Tag. Sei ehrlich, es gefällt
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