Das Paradies
gekommen bis auf Nefissa, die sich den Knöchel verstaucht hatte und in Kairo zurückbleiben mußte. Ihr Enkel Mohammed war bei ihr geblieben, um ihr Gesellschaft zu leisten. Aber Nefissas Tochter Tahia war da; sie hielt zwei kleine Nichten an den klebrigen Händchen.
Tahia war gerade dreiundvierzig geworden und blickte voll Stolz auf ihre Tochter Asmahan, die am nächsten Tag Geburtstag hatte. Sie wurde einundzwanzig und erwartete bereits ihr zweites Kind. Tahia sah Zeinab mit ihrem Bruder Nagib an der Hand langsam zum Wasser gehen. Sie würde ebenfalls bald ihren einundzwanzigsten Geburtstag feiern. Aber Jasminas behinderte Tochter hatte keine Aussicht auf eine Hochzeit oder auf Kinder.
Trotzdem wirkte Gott erstaunliche Wunder. Hatte man der Familie nicht einmal gesagt, Jasmina könne wegen der Infektion, die sie in ihrer Jugend gehabt hatte, niemals ein Kind bekommen? Und hier war ihr Sohn Nagib, ein hübscher, dunkelhaariger Sechsjähriger mit bernsteinfarbenen Augen. Wer konnte also sagen, welches Schicksal für Zeinab im Buch Gottes geschrieben stand?
Der Glaube an Gottes Mitleid und Barmherzigkeit machte für alle, die Kummer und Sorgen hatten, das Leben erträglich. Wie hätte man sonst weitermachen können? Wie oft war Tahia nahe daran gewesen, ihre Familie zu verlassen und sich auf die Suche nach Zacharias zu machen? Nur dank ihres Glaubens an Gott hatte sie durchgehalten. Wenn Zakki seine Aufgabe beendet hatte, würde er zurückkommen. Dann würden sie endlich heiraten und sich lieben dürfen.
Ibrahims Frau Huda ging mit ihren fünf Kindern hinter Tahia. Es waren hübsche Mädchen mit den typischen blattförmigen Augen der Raschids. Die jüngste war sieben und die älteste vierzehn. Die Kinder standen im Mittelpunkt von Hudas Leben. Sie hatte keine Einwände erhoben, als Ibrahim die kleine Atija als zweite Frau nach Hause brachte, denn das befreite sie von den lästigen ehelichen Pflichten. Hätte jemand Huda gefragt, hätte sie gesagt, sie liebe Ibrahim. In Wirklichkeit hatte sie kein Vergnügen an Sex und hatte alles nur über sich ergehen lassen, um Kinder zu bekommen. Hin und wieder hatte sie versucht, Ibrahim taktvoll darauf hinzuweisen, daß sexuelle Enthaltsamkeit in seinem Alter gesund sei, aber er hatte sich dadurch nicht in seiner Entschlossenheit beirren lassen, einen Sohn zu zeugen. Als sein siebzigster Geburtstag näherrückte, und er immer noch keinen Sohn hatte, der seine Männlichkeit unter Beweis gestellt hätte, wurde die zwanghafte Vorstellung noch schlimmer. Nun ja, diese Bürde lag jetzt auf Atijas Schultern, und Huda beneidete sie keineswegs darum.
Ibrahim war voller Hoffnungen, während er seine Mutter durch den Lärm und das Gedränge führte. Er warf einen Blick auf Atija, der ein leichter Wind den Sommermantel an den Körper drückte, so daß man deutlich den gewölbten Leib sah. Sie
mußte
ihm diesmal einen Sohn schenken. Sieben Töchter – neun, wenn man die kleine Ina hinzurechnete, die im Sommer 1952 gestorben war, und Alices Fehlgeburt von 1963 .
Ibrahim tröstete sich in der Gewißheit: Gott ist barmherzig. Wenn er diesmal keinen Sohn bekam, war das eine härtere Strafe, als ein Mensch sie verdiente. Sein Vater Ali wartete im Paradies noch immer auf einen Enkelsohn. Was bedeuteten die Jahre der Menschen auf Erden für eine Seele im Himmel? Vielleicht war das für eine Seele nur wie ein Augenblick. Ibrahim glaubte deutlich, Alis Ungeduld und Mißbilligung zu spüren. Sein Vater war mit ihm nicht zufrieden. Aber nun wölbte sich Atijas Mantel vielversprechend …
Dahiba stützte sich beim Gehen auf Hakims Arm. Ibrahim hatte zwar gesagt, der Tumor sei bei der Operation völlig entfernt worden, doch sie mußte sich trotzdem einer Chemotherapie und Bestrahlungen unterziehen. Das alles hatte sie geschwächt.
Dahiba mochte körperlich nicht in bester Verfassung sein, aber ihr Geist blieb stark. Die vergangenen vier Wochen hatten ihrem Leben und dem Leben ihres Mannes einen neuen Sinn und eine neue Entschlossenheit gegeben. Für Dahiba und Hakim ging das Leben weiter, auch wenn die Zukunft hinter einem Schleier verborgen lag. Sie hatten sich mit dem Willen Gottes abgefunden und würden sich SEINEM Urteil unterwerfen.
Sie hatten einen Vorgeschmack auf ihre Sterblichkeit bekommen, und in dem Wissen, daß die Tage jedes Menschen gezählt sind, hatten sie beschlossen, alle Kräfte auf ein Erbe zu konzentrieren, das sie der Welt hinterlassen würden.
Hakim drehte den letzten
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