Das Paradies
Träume?
Mimi trug ein orientalisches Tanzkostüm nach der neuesten Mode – ein enganliegendes Abendkleid im Stil der fünfziger Jahre aus scharlachrotem Satin mit blutroten Pailletten; dazu hochhackige Schuhe mit Fesselriemchen und nur einen langen Abendhandschuh. Die raffinierte Beleuchtung brachte ihre blonden Locken vorteilhaft zur Geltung. Sie wirkte wild und gefährlich, aber auch so begehrenswert, daß der Andrang zu ihren Vorstellungen Abend für Abend groß war.
Mohammed stand vor dem Plakat neben dem Eingang des Cage d’Or. Er hatte die Hände in die Taschen gesteckt und war blind für seine Umgebung. Er nahm weder die Leute wahr, die in den Nightclub gingen, noch die Busladungen lärmender Touristen oder die lauten arabischen Geschäftsleute, die sich einen schönen Abend machen wollten. Er sehnte sich nach Mimi.
Aber er wagte nicht, in den Club zu gehen.
Wenn nur Tante Dahiba nicht krank geworden wäre. An dem Tag, an dem er Mimi im Studio seiner Tante gesehen hatte, war er abends mit Mimis Photo in der Hand eingeschlafen. Damals war sein einziger Trost der Gedanke an ein Wiedersehen mit Mimi gewesen. Er wollte Tante Dahiba überreden, ihm dabei zu helfen.
Aber dann mußte Tante Dahiba ins Krankenhaus. Sie hatte das Studio geschlossen, und Mohammeds Traum von der nächsten Begegnung war wie eine Seifenblase zerplatzt.
In den vergangenen vier Wochen war er beinahe jeden Abend hierher gekommen, um auf das Plakat vor dem Club zu starren, in dem sie auftrat. Er brachte jedoch nie den Mut auf, zu ihrer Show zu gehen.
Was hinderte ihn daran? Er hatte Geld, und alt genug war er auch – vor zwei Tagen hatte er seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Die Familie hatte eine große Party für ihn gegeben, und er hatte viele Geschenke bekommen. Aber ihm fehlte das Geld, um von Mimi ernst genommen zu werden. Ein kleiner Regierungsangestellter ohne Geld würde Mimi nicht interessieren.
Er war so in Gedanken versunken, daß er nicht bemerkte, wie sich jemand neben ihn stellte. Als er eine leise Stimme hörte, zuckte er erschrocken zusammen.
»Westliche imperialistische Dekadenz …«
Mohammed drehte sich um und sah Hussein neben sich stehen. Es war die zweite Begegnung in vier Wochen – eine Woche früher wären sie beinahe auf dem Gehweg zusammengestoßen, als Mohammed aus seinem Büro kam. War das wirklich nur ein Zufall?
»Wie bitte?« fragte er.
»Du hast einmal zu uns gehört, Bruder«, sagte der Mann mit den gefährlichen Augen. »Ich erinnere mich an dich. Du warst bei unseren Versammlungen. Dann warst du plötzlich verschwunden.«
»Mein Vater …«, begann Mohammed und fühlte sich irgendwie bedroht.
Hussein lächelte geringschätzig. »Bist du ein gläubiger Muslim?«
»Ja … aber?«
Hussein deutete auf Mimis Bild. »Diese Verderbtheit untergräbt Ägyptens Werte und zerstört die Wurzeln des Islam.«
Mohammed blickte auf das Plakat und dann auf Hussein. Aus dem Club hörte man die Band. Seine heißgeliebte Mimi würde bald die Bühne betreten. Sie würde vor fremden Männern tanzen, sie alle wie Mohammed um den Verstand bringen. Neid und Eifersucht erfaßten ihn. Mohammed begann zu schwitzen.
Hussein trat näher und sagte leise: »Wie kann ein Mann seine Gedanken auf Gott richten, wie kann er seiner Frau und der Familie treu bleiben, wenn ihm der Teufel Versuchungen wie
sie
in den Weg stellt?«
Da Mohammed ihm nur stumm zuhörte, fuhr er noch eindringlicher fort: »Dieser Nightclub wird mit Dollars finanziert. Das Geld aus dem Westen ist Teil einer imperialistischen Verschwörung. Die Ungläubigen wollen Ägypten zerstören, indem sie den Stolz, die Ehre und die Moral der Männer untergraben. Was bleibt dir, wenn du ein williges Werkzeug des Satans geworden bist?«
Mohammed starrte auf Mimis Bild, auf ihre Brüste und Hüften. Plötzlich glaubte er zu sehen, daß sie ihn spöttisch anlächelte.
Der heiße Chamsîn schien seine Haut mit tausend Nadeln zu stechen. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht, unter den Kragen und zwischen den Schulterblättern den Rücken hinab.
»Wir müssen Ägypten von diesem Abschaum befreien«, murmelte Hussein. »Wir müssen auf den Weg Gottes zurückkehren. Wir müssen die Lehren des Koran beherzigen. Wir müssen kämpfen! Wir müssen mit allen Waffen das Böse vernichten, sonst sind wir verloren!«
Mohammed sah ihn erschrocken an, drehte sich um und floh.
Nefissa war trotz der Schmerzen froh darüber, daß sie sich den
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