Das Paradies
großen Spielfilm seiner Karriere. Obwohl die Dreharbeiten noch nicht beendet waren, wurde der Film in Kairo bereits mit großer Spannung erwartet, denn er schilderte offen und realistisch die wahre Geschichte einer Frau, die ihren Mann ermordet, weil die Brutalität und Grausamkeit der Familie und der Gesellschaft ihr keinen anderen Ausweg lassen.
Hakim rechnete zwar damit, daß man den Film in Ägypten verbieten werde, aber er hatte Frauen auf der ganzen Welt vor Augen, die der Heldin zujubeln würden, wenn sie in ihrer Not zur Waffe griff, dem von Männern erfundenen Werkzeug des Todes.
Der Film würde in einer mythologischen Bildersprache die Sackgasse zeigen, in die Gewalt führt. Wer Leben vernichtet, verfällt dem Tod. Die Ägypterin vollzog mit dem Mord das Todesurteil als eine Art Warnung – ein Urteil, das alle Menschen treffen konnte, wenn die Erde sich am Ende gegen alles wehrt, was gegen das Gesetz des Lebens verstößt.
Dahiba hatte noch einmal das Manuskript eines Romans überarbeitet, den sie vor zehn Jahren geschrieben hatte. Damals war er abgelehnt worden. Die Verlage hatten BAHITHAT AL-BADIJJA ,
Die Frau in der Wüste
als autobiographisches Werk abgetan. Mit diesem Argument wurden die literarischen Leistungen von Frauen im allgemeinen als subjektiv und zu persönlich abgewertet. Diesmal war das Manuskript angenommen worden und sollte im liberaleren Klima unter Präsident Mubarak in Ägypten erscheinen. Das bedeutete, es würde in der gesamten arabischen Welt gelesen werden. Diese Nachricht hatte Dahiba trotz aller Schmerzen und Schwäche in Hochstimmung versetzt, und sie war voller Hoffnung nach Suez gefahren, um Umma zu verabschieden.
Aber die Familie ließ Dahiba nicht aus den Augen. Jasmina gab zwar vor, die frische Seeluft zu genießen, den wundervollen Anblick des weiten Wassers, die Tanker und Schiffe, die vor der felsigen Küste des Sinai vorbeizogen, doch sie machte sich Sorgen um ihre Tante. Jasmina wußte, welche körperliche Belastung die Chemotherapie bedeutete und daß der Seidenschal um Dahibas Kopf verbarg, wie viele Haare sie durch die Bestrahlung bereits verloren hatte. Aber alle unterstützten Dahiba und machten ihr Mut. Jasmina hatte sich eine besondere Überraschung ausgedacht. Bis auf Dahiba und Hakim war die ganze Familie in das Geheimnis eingeweiht, und alle hatten geschworen zu schweigen. Wenn sie sich auf etwas verlassen konnte, dann darauf, daß ihre Familie ein Geheimnis hüten konnte.
Es wurde Zeit, sich zu verabschieden. Die Pilger trennten sich von ihren Familien und Freunden und gingen an Bord der Fähre. Zeinab trat neben Khadija. Auch sie war ganz in Weiß gekleidet, denn sie begleitete Khadija auf der Pilgerfahrt.
Khadija umarmte zuerst Dahiba, dann Hakim und sagte: »Ich gehe nach Mekka, um für die Heilung meiner Tochter zu beten. Ich habe fast mein ganzes Leben lang den Auftrag in mir gespürt, nach Mekka zu pilgern. Aber erst deine Krankheit, meine Tochter, hat mir geholfen, meine innere Schwäche zu überwinden. Dahiba, in deinem Buch liegt die Kraft, die wir brauchen, um die Trümmer der Vergangenheit wegzuräumen. Gott ist barmherzig. Aber ER kann uns nur helfen, wenn wir das tun, was ER von uns verlangt.«
Und als sie Jasmina an sich drückte, flüsterte Khadija: »Keine Sorge, wir werden rechtzeitig zurücksein,
inschallah.
« Dabei zwinkerte sie ihr verschwörerisch zu.
Ibrahim hielt seine Mutter lange in den Armen. Er hatte zu ihrem Schutz einen der Jungen, vielleicht Mohammed, mitschicken wollen. Omar hatte sogar angeboten, selbst mitzukommen, weil ihm bei dem Gedanken nicht wohl war, daß seine Großmutter allein durch Arabien reiste. Aber Khadija hatte sich nicht umstimmen lassen. Sie entschied sich für Zeinab als ihre Begleitung, und dabei war es geblieben.
Khadija sagte zu Ibrahim: »Ich werde versuchen, den Weg zu finden, den meine Mutter und ich genommen haben, als ich ein kleines Mädchen war.« Ibrahim runzelte die Stirn. Er verstand nicht, was an einer so lange zurückliegenden Reise wichtig sein sollte. Er machte sich Sorgen und fürchtete, er werde seine Mutter vielleicht nicht wiedersehen.
»Sei glücklich für mich, mein lieber Sohn«, sagte Khadija, um den Abschied für sie beide zu erleichtern. »Ich trete diese Pilgerfahrt mit großer Freude an. Vielleicht ist sie das Wichtigste in meinem Leben.«
Khadija ging mit Zeinab auf die Fähre und blickte über das tiefblaue Wasser. War es das azurblaue Meer ihrer
Weitere Kostenlose Bücher