Das Paradies
fest, das er selbst mit seiner Schwester niemals teilen würde und das er auch sich selbst nur ungern eingestand, obwohl es ihn Tag und Nacht beschäftigte.
Erinnerungen an beunruhigende Träume erwachten wieder, Gedanken an dunkle, verführerische Augen, volle sinnliche Lippen und lange schlanke Finger, die ihn an erregenden Stellen liebkosten – bei Tag versagte er sich die schmutzigen und verbotenen Vorstellungen, aber der verräterische Kopf quälte ihn damit in der Nacht.
Was sollte er tun? Wie konnte ein Mann in diesem Land sauber bleiben, das von Sex besessen zu sein schien und ihn gleichzeitig verpönte? Niemand konnte in Kairo eine Straße entlanggehen, ohne die Kinoplakate für Liebesfilme zu sehen oder aus den Radios der Kaffeehäuser Lieder von leidenschaftlichen Umarmungen und Küssen zu hören. Die meisten Gespräche kreisten um Männlichkeit und Fruchtbarkeit. Sex, Liebe und Leidenschaft, so fand der sehr keusche Edward, gehörten zum Alltag von Kairo wie Kaffee, Staub und die brennende Sonne. Alle irdischen Lüste, sogar unschuldiges Flirten oder verliebtes Händchenhalten, waren vor der Ehe streng verboten und selbst den Verheirateten nur in der Abgeschlossenheit der Schlafzimmer erlaubt. Für Edward war das schlimmer als der Puritanismus seiner viktorianischen Erziehung. Die Regeln sexuellen Verhaltens waren in England so eindeutig wie in Ägypten – Tugend und Keuschheit wurden gepriesen, Unzucht und Ehebruch verdammt. Aber die englische Gesellschaft führte einem Mann nicht ständig vor Augen, was man nicht haben konnte. In England gab es keine verschleierten Frauen, die einen möglichen Verehrer mit verführerischen Augen entkleideten. In England hatte man nicht den aufreizenden Bauchtanz oder Beledi erfunden. Keine englische Familie hätte nach der Hochzeitsnacht stolz das Blut zur Schau gestellt, das bei der Entjungferung der Braut floß. Es gab sogar andere Parfüms hier. Zu einer sittsamen Frau paßte Yardley’s Lavendel, aber hier attackierten die Frauen die Nase mit aufreizenden weiblichen Düften wie Moschus und Sandelholz. Auch das Essen war schärfer gewürzt, die Musik prickelnder, das Lachen lauter, die Gefühle hitziger. Mein Gott, war auch der Sex in Ägypten wilder und leidenschaftlicher? Wie sollte ein junger Mann sein inneres Gleichgewicht wahren und die Kontrolle über seine Begierden nicht verlieren?
Edward hatte kaum geschlafen. Seine Sinne waren vom Jasminduft wie betäubt, und die heiße Nacht zwang ihn, die Laken von sich zu werfen und nackt zu schlafen. Die süßliche Luft liebkoste seinen Körper. Und mit dem Morgen wartete ein neuer Tag sinnlicher Verführung auf ihn. Edward roch bereits die appetitlichen Düfte des üppigen Frühstücks mit Eiern, süßsauren Bohnen, weichem Käse und bittersüßem Kaffee.
Er legte den Revolver auf den Tisch und läutete nach seinem Diener. Edward hatte Nefissa zugesagt, heute mit ihr nach Alexandria zu fahren. Und er fürchtete sich davor.
Sein Herz begann, heftig zu klopfen, und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Wie töricht von ihm, sich auf ein so wahnwitziges Abenteuer einzulassen. Er war nicht nach Ägypten gekommen, um seinen Lastern zu verfallen! In Wahrheit war er nicht gekommen, um Alice zu besuchen und um die Pyramiden zu sehen, sondern um einer gefährlichen Liaison zu entfliehen, ehe sein Vater etwas davon bemerkte. Bereits die Andeutung eines Skandals hätte genügt, damit der Earl ihn verstieß und enterbte. Und jetzt taumelte er hier dem nächsten sexuellen Abgrund entgegen.
Der Wind wehte durch die Fensterläden, und das Zimmer schien in den Duft von Orangen- und Jasminblüten getaucht zu sein. Edward hörte den Chauffeur in der Auffahrt vor der Remise, die man zur Garage umgebaut hatte. Der Mann fuhr einen Wagen heraus und erinnerte Edward damit an die lange Fahrt mit Nefissa nach Alexandria. Unwillkürlich dachte er wieder an den verführerischen Abend vor ein paar Wochen, als bei einem Abendessen sein Ellbogen zufällig einen anderen gestreift hatte. Ihre Blicke trafen sich, und Edward wußte in diesem Augenblick, daß er verloren war.
Edward hörte die Dienstboten unten. Das bedeutete, jeden Augenblick würde sein Diener mit Tee, Brandy und heißem Wasser zum Rasieren hereinkommen.
Edward stand auf, zog seinen seidenen Morgenmantel an und ging ins Bad. Dort musterte er sein Gesicht im Spiegel. Die Kopfwunde war verheilt, ohne eine Narbe zu hinterlassen. Er sah gesund aus und war körperlich in bester
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