Das Paradies
erklärte, sie habe schlecht geschlafen. Ihre Träume verhießen nichts Gutes. Böse Vorahnungen und schlimme Zeichen hatten sie gequält. »Ich habe von einem blutroten Mond geträumt. Ich habe Dschinns in unserem Garten gesehen. Die Blumen waren alle verdorrt.«
Khadija schickte die Mädchen aus dem Zimmer, damit die alte Frau ihnen keine Angst einjagte, und sagte dann: »Es steht geschrieben, uns soll nichts geschehen, was Gott uns nicht bestimmt hat. ER ist unser Beschützer und unser Freund. Mach dir keine Gedanken, Tante. Der König und Ibrahim sind in Gottes Hand.«
Aber Zou Zou, die in ihrer Jugend die Tage des großen Khediven von Ägypten erlebt hatte, erwiderte: »Es steht auch geschrieben, daß Gott die Menschen nicht ändert, wenn sie sich nicht ändern. Glaube mir: Unheil droht uns. Wo ist Ibrahim? Es ist nicht richtig, daß dein Sohn nicht hier ist. Wozu ist ein Mann da? Er muß seine Familie schützen!«
Zou Zou hatte Ibrahim aufgefordert, diesmal nicht mit dem König nach Alexandria zu gehen, aber er hatte ihr sorglos versichert, es sei alles in bester Ordnung. Wie konnte er nur so blind sein? In den sechs Monaten seit dem Schwarzen Samstag hatte König Farouk dreimal seine Regierung umgebildet. Nach den neuesten Gerüchten beabsichtigte er, seinen Schwager an die Spitze des Kabinetts zu stellen. Aber das Militär verachtete diesen Mann. Deshalb war die Spannung in Kairo wieder gewachsen. »Khadija«, sagte Zou Zou, »ich habe Angst um deinen Sohn. Ich fürchte um seine Sicherheit und um die Sicherheit der Familie. Wer schützt uns, wenn er in Alexandria ist?« Sie drehte sich um und folgte kopfschüttelnd den Kindern zum Frühstück.
Im ersten Stock unterhielt sich die Familie lautstark beim Essen. Sie verzehrten Berge von Eiern und Bohnen. Nefissa stand am offenen Fenster und wartete darauf, daß der Wagen endlich vorfahren würde. Sie trug ein leichtes Reisekostüm aus Leinen und hielt ein Kosmetikköfferchen aus Krokodilleder in der Hand.
Alice ging zu ihr und sagte: »Ich habe etwas für dich.« Sie überreichte ihr ein hübsches Blumensträußchen aus dem Garten. Die roten Blüten paßten zu Nefissas roten Lippen und betonten ihre dunklen Augen.
Nefissa blickte über die Schulter zu Khadija, die den Kleinsten beim Essen half, und flüsterte Alice aufgeregt ins Ohr: »Wenn sie es wüßte! Wenn sie es ahnte! Umma würde mich einsperren und den Schlüssel in den Nil werfen!« Nefissa hatte etwas Schockierendes vor. Sie wollte den Chauffeur zurücklassen, sich selbst ans Steuer setzen und nach Alexandria fahren. Sie hatte viele Wochen heimlich Fahrunterricht genommen, und endlich konnte sie sich mit der ersehnten Freiheit belohnen, am Steuer zu sitzen. Damit besaß sie eine bisher ungekannte Macht. »Für Umma ist es schlimm genug, daß ich den Schleier abgelegt habe und kein Schwarz mehr trage«, flüsterte sie und steckte die Blumen an die Kostümjacke. »Aber wenn sie wüßte, daß ich mich ans Steuer setze … Weiß Edward eigentlich, daß ich den Wagen fahre?«
»Mein armer Bruder hat keine Ahnung! Er glaubt natürlich, daß der Chauffeur dabei ist. Willst du unterwegs übernachten?« Alice wünschte sich die Verführung ebenso wie Nefissa. Sie würde alles tun, damit Edward in Ägypten blieb.
Plötzlich läutete es stürmisch an der Haustür. Kurz darauf führte ein Hausmädchen Marijam Misrachi in den Frühstücksraum. »Hast du Radio gehört, Khadija? Schalte es ein! Es hat in der Nacht eine Revolution gegeben, während alle schliefen!«
»Was? Wie ist das möglich? Hat man den König gestürzt?«
»Ich weiß nicht! Panzer und Soldaten haben die Straßen der Stadt besetzt!«
Sie schalteten das Radio ein und hörten eine Stimme, die sie nicht kannten. Ein Mann names Anwar as Sadat, von dem noch nie jemand etwas gehört hatte, hielt eine Rede und sprach davon, daß die Ägypter sich endlich selbst regieren würden. Doreja und Rajja kamen mit ihren Kindern in den Raum. Haneija brachte ihr Baby, und Zou Zou humpelte herbei. Bald drängten sich alle Frauen und Dienstboten um das Radio.
»Er hat den König nicht erwähnt«, sagte Rajja, die aufmerksam die Rede verfolgt hatte. »Er hat auch nichts darüber gesagt, was sie mit Farouk getan haben.«
»Man wird den König umbringen!« rief Doreja. »Und Ibrahim auch!«
Es entstand eine Panik. Die Frauen fielen sich klagend und weinend in die Arme. Auch die kleine Tahia brach in Tränen aus. Khadija unterdrückte ihr Entsetzen und sagte
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