Das Paradies
trotzig den Schleier abgelegt und sich auf ihren eigenen Willen besonnen. Sie wollte nach Alexandria, und sie würde sich über die Entscheidung ihres Bruders hinwegsetzen, mochte Ibrahim damit einverstanden sein oder nicht. Und sie würde nicht allein fahren!
Nefissa legte den Kopf zurück, schloß die Augen, atmete tief die berauschenden ätherischen Öle ein und stellte sich Edward Westfall vor, der sie morgen an die Küste begleiten würde.
Sie dachte an seine gewellten blonden Haare, an die strahlenden blauen Augen, das geteilte Kinn und an die weiße, straffe Haut, hob die Knie und fühlte, wie das samtige Wasser über die Schenkel lief. Dann griff sie nach einem Kristallfläschchen mit Mandelöl, tropfte das Öl auf die Hand und begann, sich sanft einzureiben.
In der Badewanne gelang es Nefissa manchmal, ihren Körper zu der berauschenden Klippe zu führen, wo sich verheißungsvoll etwas Wunderbares und Einzigartiges lockend vor ihr auftat. Aber sie erreichte nie ganz den wahren Höhepunkt. Undeutlich hatte sie die Erinnerung, daß sie als kleines Mädchen bei ihren Spielen der erregenden Selbsterkundung eine atemberaubende Lust erlebt hatte. Nefissa glaubte, sich daran zu erinnern, wie sie sich mit dem berauschenden Gefühl selbst belohnte, wann immer sie das wollte. Aber dann kam die Nacht der Beschneidung – ihrer Beschneidung. Khadija erklärte der kleinen Nefissa, man habe ihr die Unreinheit abgeschnitten, und von nun an sei sie ein »gutes« Kind. Seit dieser Zeit war es Nefissa nicht mehr gelungen, das unbeschreibliche Gefühl zu erleben.
Auch jetzt entzog sich ihr diese sinnliche Lust, und sie hatte nur eine Ahnung dessen, was sein könnte. Nefissa griff nach dem Schwamm und rieb sich mit der cremigen Mandelseife ein.
Warum verstümmeln sie die Frauen? Wann hatte man zum ersten Mal damit begonnen, eine Frau zu beschneiden? Khadija hatte gesagt, Mutter Eva habe es bereits getan. Aber wenn das stimmte, wer hatte die Operation durchgeführt, denn Eva war die erste Frau. Konnte Adam es getan haben? Warum fand die Beschneidung der Jungen im hellen Tageslicht statt, im Rahmen einer großen Feier, aber die Beschneidung eines Mädchens im Dunkel der Nacht – und anschließend sprach niemand mehr darüber? Warum war etwas, worauf die Jungen stolz sein konnten, für Mädchen eine Schande?
Nefissa seufzte, denn wie immer fand sie keine Antworten auf diese Fragen. Sie zog den Stöpsel aus einer handgeblasenen blauen Glasflasche und ließ das Öl auf die Handflächen tropfen. Dann massierte sie das Orangenöl in die Haut der Brüste und des Bauchs. Ihre Gedanken kehrten zu Edward Westfall zurück.
Nefissa liebte den Bruder von Alice nicht. Sie gestand sich ein, daß sie ihn noch nicht einmal besonders mochte. Aber er erinnerte sie so sehr an ihren Leutnant, den sie wirklich geliebt hatte. Wann immer sie Edward ansah oder er mit ihr sprach, geriet tief in ihrem Innern etwas in Bewegung.
Mit welcher Euphorie dachte sie noch jetzt an die Nacht in dem alten Harem im Palast der Prinzessin. Sie und ihr englischer Leutnant hatten sich bis zum Morgengrauen geliebt. Für Nefissa war es noch immer so, als sei es erst gestern gewesen. Sie erinnerte sich in allen Einzelheiten an die köstlichen Freuden, an die wunderbaren Entdeckungen – die kleine Narbe an seinem rechten Schenkel, der salzige Geschmack seiner Haut. Wie leidenschaftlich hatte er sie geliebt! Während die melancholischen Frauen der Wandgemälde zusahen und die Nachtigall im Garten gesungen hatte, erlebte Nefissa eine Ekstase, eine Verzückung, von der die meisten Frauen nur träumen konnten – daran zweifelte sie nicht.
Als sie sich voneinander verabschiedet hatten, als ihr Offizier sie zum letzten Mal im ersten Licht des Morgens küßte, versprach er, ihr zu schreiben und zu ihr zurückzukommen, aber Nefissa wußte in diesem Augenblick: Sie würden sich nie wiedersehen.
Er hatte ihr nicht seinen Namen verraten, nicht während der vielen Küsse, der Liebkosungen und zärtlichen Worte. Sie wollten beide, daß diese Nacht eine Phantasie blieb, etwas so Wunderbares und Unwirkliches wie die schönen Konkubinen des Sultans auf den Wänden. Und wirklich, in den vergangenen Jahren hatte Nefissa nichts mehr von ihrem Leutnant gehört. Ihr blieb nur das Spitzentaschentuch, das er ihr geschenkt hatte, und das einst seiner Mutter gehörte, wie er damals erklärte …
Nefissa verließ langsam die Badewanne und trocknete sich mit einem dicken, weichen
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