Das Paradies
mir leid, Edward, daß du an einem so traurigen Tag in Kairo eingetroffen bist. Komm, setz dich hierher. Hat man im Krankenhaus die Wunde gut versorgt? Ich bin vorsichtig und werde mir deshalb deine Verletzungen am besten noch einmal ansehen.«
Sie ließ sich eine Schüssel mit Wasser, Seife und ein Handtuch bringen. Khadija untersuchte die Wunde und sagte, es sei nichts Ernstes. Sie säuberte den Kopf, trug eine selbstgemachte Kampfersalbe auf und legte einen neuen Verband an. Dann bereitete sie einen Kräutertee mit Kamille zur Beruhigung und Ringelblumen zum schnelleren Heilen.
Suleiman fragte Ibrahim: »Wie ist die Lage? Ist das Feuer unter Kontrolle?«
»Die Stadt brennt noch immer«, erwiderte Ibrahim düster, »es ist ein nächtliches Ausgangsverbot verhängt worden. Die rebellische Menge ist bis auf einen Kilometer zum Palast vorgedrungen.«
»Aber wer steht dahinter?« fragte Khadija.
Als Ibrahim antwortete: »Die Muslim-Bruderschaft soll den Aufstand angezettelt haben«, erinnerten sich alle an den schrecklichen Tag vor fünf Jahren. Die Bruderschaft hatte als Protest gegen die Engländer, die den palästinensischen Arabern Land gestohlen hatten, Kinos in die Luft gesprengt, wo »von Juden kontrollierte amerikanische Filme« gezeigt wurden, wie sie das nannten.
»Ist die Regierung gestürzt?« fragte Marijam. »Hat es einen Staatsstreich gegeben?«
Ibrahim schüttelte verblüfft den Kopf. Niemand hatte versucht, die Regierungsgewalt zu übernehmen oder Farouk zu stürzen. Trotzdem bestand kein Zweifel daran, es war ein gut vorbereiteter und organisierter Aufstand. Aber es mußte noch geklärt werden, aus welchem Grund und mit welcher Absicht.
»Was wird der König unternehmen?« fragte Suleiman.
Ibrahim schwieg. Er wußte, Farouk würde nichts tun. Der König hatte wiederholt erklärt, die Aufstände seien nicht gegen ihn, sondern gegen die Engländer gerichtet. Farouk wußte, im Gegensatz zu den verhaßten Engländern stand er gut da, und er zweifelte nicht daran, daß er schließlich als Ägyptens König der gefeierte Held sein werde.
Im Radio las man aus dem Koran. Das geschah im allgemeinen nur beim Tod eines hohen Politikers. Während sie in Khadijas Salon dem Sprecher zuhörten, beschäftigte sich jeder mit seinen eigenen Ängsten.
Edward beschloß, mit seiner Schwester nach England zurückzukehren.
Ibrahim dachte an die Reise, mit der er Alice hatte überraschen wollen. Aber angesichts der neuen Lage würde ihm Farouk niemals erlauben, das Land zu verlassen. Sie würden warten müssen, bis sich die Unruhen gelegt hatten, was ganz bestimmt geschehen würde.
Suleiman griff nach der Hand seiner Frau und dachte an die vielen jüdischen Geschäfte, die bei den Unruhen in Brand gesteckt worden waren.
Und Khadija fragte sich, was aus ihrem Sohn und der Familie werden sollte, wenn sich das Volk gegen den König erheben würde.
6 . Kapitel
Der schwere Blütenduft der vielen Gärten und der Geruch des langsam dahinfließenden Nilwassers lagen an diesem heißen Juliabend in der Luft. Die Gehwege füllten sich mit den Menschen, die aus den Kinos oder Restaurants kamen. Eine junge Familie freute sich an diesem Abend besonders. Sie hatten gerade einen Film gesehen und aßen lachend noch ein Eis. Aber als sie ihre Wohnung betraten, wartete auf den Mann eine dringende Nachricht. Er überflog sie schnell und verbrannte sie. Dann zog er seine Uniform an, verabschiedete sich mit einem Kuß von Frau und Kindern. Er bat sie, für ihn zu beten, denn er wußte nicht, ob er seine Familie in diesem Leben wiedersehen werde. Stumm eilte er in die Nacht zu einem gefährlichen Treffen, das schon seit langem geplant war. Der Mann hieß Anwar as Sadat, und die Revolution hatte begonnen.
Nefissa suchte Kühlung in der im Boden eingelassenen Marmorwanne ihres persönlichen Bads. Sie überließ sich dem wundervoll nach Mandeln und Rosen duftenden Wasser. Nefissa mußte die heißen Sommernächte in Kairo ertragen, weil Ibrahim die Reise nach Alexandria abgesagt hatte. Seit den Unruhen im Januar, seit dem Schwarzen Samstag, wie man diesen Tag inzwischen nannte, waren die Spannungen in der Stadt gestiegen, und es kam immer wieder zu Ausbrüchen von Gewalt. Ibrahim fand, eine Fahrt an die Küste sei für die Familie zu gefährlich. Deshalb mußten sie alle zu Hause bleiben, als er Farouk nach Alexandria in den Sommerpalast begleitete. Aber Nefissa war nicht mehr wie früher die gehorsame kleine Schwester. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher