Das Parsifal-Mosaik
hatten, reagierten mit Schweigen. Niemand wollte wirklich über die tieferen Gründe nachdenken; die Welt konnte es sich nicht leisten.
Man durfte nicht zulassen, daß das Telegramm aus Rom eine zusätzliche Belastung für Anthony Matthias wurde. »Er wird von Halluzinationen verfolgt«, sagte der Mann mit der beginnenden Glatze, der Miller hieß, und legte seine Kopie des Telegramms vor sich auf den Tisch. Paul Miller war Psychiater, ein Spezialist auf dem Gebiet der Verhaltensdiagnostik. »Steht in seiner Akte irgend etwas, das uns hätte warnen müssen?« fragte ein rothaariger, untersetzter Mann in einem ausgebeulten Anzug, der seine Krawatte gelöst hatte. Er hieß Ogilvie und war ein ehemaliger Agent.
»Nein«, antwortete Daniel Stern, der links von Miller saß. Stern war der verantwortliche Koordinator für alle Geheimdienstaktivitäten des State Department. Consular Operations, abgekürzt Cons Op, nannte sich seine Abteilung.
»Warum nicht?« fragte der vierte, ein konservativ gekleideter Mann, den man sich ohne weiteres in einer IBM-Anzeige im Wall Street Journal hätte vorstellen können. Sein Name war Dawson, er war Anwalt, Experte für internationales Recht. »Wollen Sie damit sagen«, hakte er nach, »daß es in seiner Dienstakte ... äh ... Lücken gab?« »Ja. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, eine Überprüfung zu verlangen; also blieb die Akte unvollständig. Niemand hielt eine Kontrolle für notwendig, weil seine Arbeit erstklassig war. Abgesehen von ein oder zwei Ausfällen war er ungewöhnlich produktiv, und selbst unter höchst widrigen Umständen handelte er überlegt.« »Allerdings sieht er tote Leute auf Bahnhöfen«, unterbrach Dawson. »Warum?«
»Kennen Sie Havelock?« fragte Stern.
»Nur von einem Interview, das ich einmal mit ihm gemacht habe«, antwortete der Anwalt. »Das liegt etwa vier Monate zurück. Auf mich machte er einen sehr effizienten Eindruck.« »Das war er«, pflichtete der Direktor von Cons Op ihm bei, »effizient, produktiv, überlegt ... und sehr zäh, sehr cool und intelligent. Nun, er ist auch in sehr jungen Jahren unter ziemlich außergewöhnlichen Umständen ausgebildet worden. Vielleicht ist das der Punkt, auf den wir hätten achten sollen.« Stern hielt inne, griff nach einem großen Umschlag und entnahm ihm einen rotgeränderten Aktendeckel. »Hier ist die komplette Lebensgeschichte von Havelock: Student der Universität Princeton, mit einem Doktortitel in europäischer Geschichte und einem Magisterexamen in slawischen Sprachen. Heimatort: Greenwich, Connecticut. Eine Kriegswaise, die aus England herüberkam und von einem Ehepaar namens Webster adoptiert wurde. Was wir natürlich alle berücksichtigt haben, war die Empfehlung von Matthias, mit dem schon damals zu rechnen war. Beim Einstellungsgespräch hier im Außenministerium vor sechzehn Jahren war das Bild von ihm ziemlich klar: ein hochintelligenter Absolvent der Universität Princeton, der bereit war, seine Sprachkenntnisse zu vervollständigen und in den Untergrund zu gehen. Aber das war nicht notwendig - die Sprachkurse, meine ich. Slawisch war seine Muttersprache, er sprach es viel besser, als wir annahmen. Das ist es, was hier in der Akte steht; das ist der letzte Teil seiner Biographie, der durchaus der Grund für seinen psychischen Kollaps sein könnte, den wir jetzt erleben.«
»Das ist ein verdammt großer Sprung zurück«, sagte Ogilvie. »Können Sie uns noch ein paar Einzelheiten liefern? Ich mag keine Überraschungen; Paranoiker im Ruhestand brauchen wir weiß Gott nicht.«
»Offensichtlich haben wir es hier mit einem zu tun«, warf Miller ein und griff nach dem Telegramm. »Wenn Baylors Urteil etwas bedeutet ...«
»Ganz gewiß«, unterbrach ihn Stern. »Er zählt zu den besten Leuten, die wir in Europa haben.«
»Trotzdem gehört er zum Pentagon«, meinte Dawson. »Das spricht nicht gerade für sein Urteilsvermögen.«
»Bei ihm ist das anders«, verbesserte Stern, der Operationschef. »Er ist Schwarzer; also mußte er gut sein.«
»Wie ich gerade erwähnen wollte«, fuhr der Psychiater fort, »hat Baylor uns mit einigem Nachdruck geraten, Havelock ernst zu nehmen. Er hat gesehen, was er gesehen hat.«
»Was unmöglich ist«, sagte Ogilvie. »Das wiederum bedeutet, daß wir es mit einem Spinner zu tun haben. Was steht noch in der Akte, Dan?«
»Von einer schlimmen Jugend wird da berichtet«, erwiderte Stern und blätterte ein paar Seiten weiter. »Wir wußten, daß er
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