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Das Parsifal-Mosaik

Titel: Das Parsifal-Mosaik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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davongelaufen war. Herrgott! Was hatten sie getan? Warum?
    Sie war nach Paris unterwegs. Dort würde er sie finden. Oder am Col des Moulinets. Er hatte den Vorteil, daß er die Entfernungen mit dem Flugzeug schnell überbrücken konnte, während sie sich auf einem alten Frachter befand, der nur langsam vorwärtskam. Er hatte also Zeit.
    Und die Zeit würde er nutzen. In der Botschaft in Rom gab es einen Abwehrbeamten, der zu spüren bekommen sollte, daß er noch am Leben und voller Wut auf ihn war. Lieutenant Colonel Baylor-Brown würde ihm die Antworten liefern - oder alles, was bisher über Washingtons Geheimdiensttätigkeit an die Öffentlichkeit gedrungen war, würde geradezu lächerlich sein, verglichen mit dem, was er dann ans Licht bringen würde: die illegalen Machenschaften, die Schlappen und tragischen Irrtümer, die auf der ganzen Welt jedes Jahr Tausenden von Menschen das Leben oder die Freiheit kosteten.
    Anfangen würde er mit einem farbigen Diplomaten in Rom, der an die amerikanischen Agenten in Italien und im westlichen Mittelmeerraum Geheimbefehle weiterleitete.
    »Capisco? Sie verstehen doch, Signore?« Der Italiener bettelte, versuchte Zeit zu gewinnen, und seine Augen huschten immer wieder verstohlen nach rechts. Auf dem zweiten Pier kamen jetzt drei Männer im Morgenlicht auf die Poller zu; zwei Stöße aus einer Schiffspfeife verrieten den Grund. Der Frachter, der jetzt in den Hafen einfuhr, sollte am Liegeplatz der Elba vertäut werden. In wenigen Augenblicken würden weitere Arbeiter erscheinen. »Wir sind vorsichtig ... naturalmente, aber wir wissen nichts von solchen Dingen!«
    »Ich verstehe«, sagte Michael. Er legte seine Hand auf die Schulter des Mannes und drehte ihn herum. »Gehen Sie vor bis an den Rand der Kaimauer«, befahl er leise. »Signore, bitte! Ich flehe Sie an!« »Tun Sie, was ich sage. Jetzt.«
    »Ich schwöre bei meinem Schutzpatron, bei den Tränen der heiligen Mutter!« Der Italiener weinte, und seine Stimme wurde immer schriller. »Ich bin ein ganz unbedeutender Händler, Signore! Ich weiß nichts! Ich sage nichts!«
    »Springen Sie«, sagte Havelock, als sie den Rand des Piers erreicht hatten, und stieß den Mann ins Wasser.
    »Mio Dio! Aiuto!« schrie der Mann, der sich immer noch an dem Holzbalken festhielt, als sein Boß neben ihm ins Wasser platschte. Michael wandte sich ab und humpelte zum Lagerhaus zurück. Das Dock war immer noch verlassen, aber der niedergeschlagene Wachmann begann sich zu bewegen. Er schüttelte den Kopf und richtete sich im Schatten seines Glashäuschens langsam auf. Havelock klappte die Trommel des Revolvers auf und schüttelte die Patronen heraus; sie fielen klirrend zu Boden. Dann rannte er so schnell er konnte zum Tor; der Wachmann fiel wieder hin, japste nach Luft und hielt sich den Kopf. Michael griff nach der Tür des Glashäuschens und warf die Waffe hinein. Dann rannte er so schnell er konnte durchs Tor, auf seinen Mietwagen zu. Rom. In Rom würde er Antworten bekommen.

7
    Die vier Männer, die in dem weißgetünchten Zimmer im vierten Stock des Außenministeriums an einem Tisch saßen, waren alle noch relativ jung, zumindest für Angehörige der oberen Ränge. Ihr Alter reichte von Mitte Dreißig bis Ende Vierzig, aber die Falten in ihren Gesichtern und der gelegentlich hohle Blick ihrer Augen ließen sie älter erscheinen. Sie alle hatten oft schlaflose Nächte verbracht und arbeiteten pausenlos unter höchster psychischer Belastung. Der Druck wurde dadurch noch schlimmer, daß keiner seine persönlichen Krisen mit irgend jemandem draußen besprechen konnte. Sie, die Strategen der Geheimaktionen, sozusagen die »Lotsen« der Operationen, hatten große Verantwortung: Schon die geringste Fehleinschätzung konnte den Tod ihrer eigenen Agenten bedeuten. Nur diese Männer kannten jede vorstellbare Variation, jede mögliche Folge einer bestimmten Operation. Jeder war Spezialist, jeder für sich eine Autorität. Sie allein hatten die letzte Entscheidung, wann und wo ihre Leute zum Einsatz kamen. Deren Charakter und Eigenarten waren ihnen bestens vertraut, so wie sie auch die Aktionen und Reaktionen des Feindes bei jedem Schritt ins Kalkül zogen. Jede abrupte Wende der Ereignisse machte die richtige Einschätzung der Lage komplizierter. Sie waren Spezialisten in einer Welt, in der die Wahrheit gewöhnlich eine Lüge war und Lügen allzu häufig zum Überleben notwendig waren. Der Streß machte ihnen am meisten zu schaffen; denn unter

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