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Das Patent

Titel: Das Patent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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Achterbahnen links liegen zu lassen. Die »Rückseite des Mondes« fiel eindeutig in diese Kategorie. Die »Ekliptik« wahrscheinlich auch. Aber was erwartete ihr Vater von ihr? Sie hatte einigen Kinderkram ausprobiert, zum Beispiel die »Saturnringe«, aber in der Gesellschaft von Sechsjährigen kam sie sich blöd vor.
    Georgia schaute zum Eingang der »Rückseite des Mondes« und ihre Miene verfinsterte sich noch mehr. Dann wandte sie sich unwillig ab und spazierte über den Promenadenplatz, bis sie an eine Bank kam. Sie setzte sich, zückte ihren Lageplan, warf einen Blick hinein und steckte ihn wieder weg.
    Nachdem sie den letzten Bissen Zuckerwatte verzehrt hatte, drehte sie sich um, um den langen weißen Stab in einen Abfalleimer zu werfen. Sie verharrte und musterte den schlanken Papierstängel, den sie in der Hand hielt. Heute Morgen hatte sie ihrem Vater erzählt, sie könne sich nicht an die Fahrt erinnern, die sie vor vielen Jahren zum Kennywood Park gemacht hatten. Aber es stimmte nicht ganz. Sie wusste noch, dass ihre Mutter sie dort mit einem riesigen Berg Zuckerwatte überrascht hatte. Er hatte ebenso unsicher auf einem weißen Haltestab balanciert wie dieser hier. Ihr fiel ein, dass die rosafarbene Süßigkeit ihren achtjährigen Augen unglaublich groß erschienen war und die Sonne auf sie heruntergeknallt hatte. Sie erinnerte sich an das sonnengebräunte Gesicht ihrer Mutter, an ihren blassen Lippenstift und an die Art, wie ihre Augenwinkel beim Lächeln Fältchen gebildet hatten.
    Sie hatte auch noch andere Erinnerungen an sie. Einmal hatte Mama sie zu einem Probetörn auf einem ihrer Segelboote mitgenommen. Sie waren in einem grünen Park auf Ponys geritten. Sie hatten, unter Decken begraben, an einem Fenster gesessen und gemeinsam Kiplings »Nur so Geschichten für Kinder« gelesen. Es waren bruchstückhafte Erinnerungen, verblasst wie betagte Fotografien. Georgia behielt sie für sich, als würde ihr alter Zauber vergehen, wenn sie darüber sprach. Sie sollten nicht für immer verschwinden.
    Sie musterte kurz den Papierstängel und drehte ihn in ihren Händen. Dann warf sie ihn in den Abfalleimer, stand auf und setzte den Weg über die Promenade fort. Vor sich erspähte sie die Galerie »Das innere Auge«. Darüber schwebte ein lebensgroßes Hologramm Eric Nightingales, der die Menschen mit dem Schwenken eines Seidenzylinders zum Eintreten einlud. Eine kleine Menschentraube hatte sich davor versammelt, begutachtete die Porträts im Galeriefenster und deutete auf das Abbild des Bühnenzauberers.
    Georgia verlangsamte ihren Schritt. Sie schaute neugierig zu. Sie erinnerte sich auch an Nightingale. Er hatte nie richtig stillsitzen können. Er war ihr immer zappelig erschienen und hatte ständig gestikuliert. Jeder Raum hatte zu klein für ihn gewirkt, auch wenn er für einen Erwachsenen nicht sehr groß gewesen war. An manchen Abenden hatte er ihren Vater besucht, dann hatten sie stundenlang am Küchentisch gesessen. Sie erinnerte sich an den Geruch von Kaffee und Pfeifentabak. Sie war unter den Tisch gekrabbelt, hatte dort gespielt, den Stimmen der Männer gelauscht und gewusst, dass sie länger aufbleiben durfte, wenn es ihr gelang, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    »Jumpin’ at the Woodside« endete. Das digitale Abspielgerät schwieg für eine Weile, nun drangen die Geräusche Utopias auf Georgia ein: Rufe, Stimmengewirr, das ferne Echo eines Lautsprechers, der Freudenschrei eines Kindes. Dann fing »Swingin’ the Blues« an, und die Geräusche verstummten wieder. Georgia schob die Hände in die Hosentaschen und ging weiter. Ihr fiel ein, wie Nightingale sie angeschaut hatte, wenn sie sprach. Er hatte ihr zugehört, als seien ihre Worte wirklich wichtig. Er war nicht so dumm gewesen, wie die meisten Erwachsenen wirkten. Er hatte auch nicht die gleichen dummen Sprüche geklopft wie sie; etwa, dass sie hübsch sei oder wie groß sie geworden war, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte.
    Aus irgendeinem Grund musste sie an Terri Bonifacio denken. Terri war offenbar auch nicht dumm. Möglicherweise aß sie sogar gern Zuckerwatte. Normalerweise interessierte Georgia sich nicht für das, was Erwachsene so von sich gaben. Aber hinsichtlich einiger Dinge war sie sehr an Terris Meinung interessiert: Was sie von Bluegrass und Bop hielt; welche Bücher sie als Kind gelesen hatte; welche Farben sie gern trug; was sie am liebsten aß. Sie hoffte nur, dass es nicht das eklige, fischig riechende

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