Das Perlenmaedchen
herumruderte, aber da stieg Chac bereits hoch, fuhr urplötzlich sein Bein abermals aus und traf mit der Ferse voll den Kiefer des Mannes. Der Mann verlor den Boden unter den Füßen und landete bewusstlos inmitten von Töpferwaren.
Sofort stürzten sich seine Freunde in den Kampf. Ohne ihre Umhänge abzuwerfen, drängten sie wütend auf Chac zu.
»Hilf ihm!«, beschwor Tonina Haarlos. Aber Haarlos war wie gelähmt. Das war der Chac, den er schon so lange verehrte. Der Mann, dem er sein Leben gewidmet hatte. Von Stadt zu Stadt war Haarlos der Mannschaft von Mayapán gefolgt, hatte für seinen Helden gebetet, sein Spiel verfolgt, geprahlt, Chac sei der größte Ballspieler überhaupt. Er hatte ihn seit Monaten nicht mehr spielen sehen, aber jetzt war er hier, zwar nicht auf einem Spielfeld, sondern auf den Pflastersteinen einer alten Plaza, bewies sich auch nicht im Ballspiel gegen eine andere Mannschaft, sondern gegen diese Großmäuler, was auf das Gleiche herauskam, wich ihren Fäusten aus, umtänzelte sie, täuschte an und duckte sich, kickte mit den Füßen, irritierte sie, ein Mann gegen vier, bis der letzte der Gegner niedergekämpft war und nur noch Chac sich auf den Beinen hielt, schwitzend und keuchend. Blut rann ihm über den Körper.
Die Menge erstarrte in Schweigen. Und dann kam der erste Maya wieder zu sich, schüttelte den Kopf, rappelte sich hoch und wankte, sich das Blut vom Kinn wischend, davon. Seine Kumpel humpelten ihm hinterher.
Hochrufe erschallten, man umringte den Sieger. Chac nahm seinen Umhang entgegen, knotete ihn sich um den Hals und ging dann auf die Ananasverkäufer zu, die ehrfürchtig zu ihm aufschauten. Mit Blick auf die völlig unbrauchbar gewordene Ware sagte er leise zu dem Ältesten der Familie: »Ich möchte eure Früchte kaufen«, und bot ihm fünf Kakaobohnen dafür. Als der Alte Chac auf Nahuatl segnete und Götter anrief, deren Namen Chac aus seiner Kindheit vertraut waren, hob ihn die begeisterte Menge auf die Schultern und trug ihn unter ohrenbetäubendem Jubel um die Plaza herum. Und Chac wurde sich bewusst, was seine Entscheidung ihm eingebracht hatte: Er war jetzt ein größerer Held als je zuvor, und er und Tonina würden weder allein noch zügig Copán erreichen.
Balám sah mit an, wie sein einstmaliger Freund auf den Schultern begeisterter Bewunderer um die Plaza getragen wurde.
Jetzt umstrahlte Chac also noch mehr Ruhm. Chac, der die Götter gelästert und ihre Statuen entehrt hatte, Chac, der den schmachvollen Tod seiner geliebten Yaxche verschuldet hatte.
Balám umfasste den hölzernen Schaft seines Speers, sah sich bereits auf die Plaza stürmen, einen Weg durch die Menge bahnen, seinen Speer schleudern, so schnell, dass keiner mitbekam, was da vor sich ging, und vor den Augen seiner einfältigen Bewunderer den großen Chac durchbohren. Noch ehe man ihn festhalten konnte, würde Balám abtauchen und den Speer, an dem noch Chacs Blut klebte, durch den Körper der Wahrsagerin jagen, die das Leben von Yaxche hätte retten können.
Doch während er schon den Speer hob, glaubte er seine Mutter zu hören, die ihm etwas zuraunte, was er vergessen oder damals nicht mitbekommen hatte. Als er sich in Uxmal, vom Vater des Hauses verwiesen, im elterlichen Garten versteckt hatte, war Choimha, seine vornehme Mutter, gekommen und hatte zu ihm gesagt: »Mein Sohn, was du getan hast, kannst du wiedergutmachen. Ohne dich deshalb nach Teotihuacán begeben zu müssen.«
»Wie ist das möglich?«, hatte Balám ausgerufen, aber seine Verzweiflung, sein Zorn auf Chac, sein Kummer über den Verlust von Yaxche und Ziyal waren so groß, dass die Antwort seiner Mutter irgendwie an ihm vorbeigerauscht war. Jetzt hörte er sie wieder, so klar und deutlich, als stünde sie neben ihm.
Eine Ruhe, für die er keine Erklärung fand, kam über ihn. Auf der Plaza wurde es still. Der Lärm, die Leute, die Tempel und der Dschungel – alles verschwand, bis Prinz Balám aus Uxmal nur noch ein weißes Licht um sich herum wahrnahm. Er schloss die Augen und sog das Licht wie frische Luft in seine Lungen ein. Noch nie hatte er sich derart ruhig und gelassen gefühlt. Eine Empfindung, die gleichsam wie ein belebender Wasserfall auf ihn niederging.
Das wundersame Licht erfüllte ihn mit neuer Kraft und mit einer Erkenntnis, die so eindeutig war, dass er die Luft anhalten musste, um sie zu verinnerlichen.
Mit geschlossenen Augen sah er sich irgendwann in der Zukunft und begriff, dass die Götter
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