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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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war, kleine Verletzungen, die jetzt mit einer von H’meens Salben bestrichen waren. »Warum hast du es allein mit den Maya aufgenommen?«, fragte sie. »Warum hast du deinen Freunden nicht erlaubt, dir zur Seite zu stehen?«
    Chac dachte an die Jungen, die sich vor langer Zeit einmal gegen ihn verschworen hatten. Er war ihnen, schon weil er jünger als sie war, hilflos ausgeliefert gewesen – bis Balám dazwischengegangen war und ihn beschützt hatte. Aber heute lagen die Dinge anders, obwohl er nicht genau wusste, warum, hatte Chac entschieden, dass er sich diesem Kampf allein stellen musste.
    »Ich habe noch ein Geschenk bekommen«, sagte er, ohne ihre Frage zu beantworten. »Von den Ananasverkäufern. Etwas Wertvolleres hätten sie nicht, sagten sie. Ich wollte es nicht annehmen, aber sie bestanden darauf. Um ihren Stolz nicht zu verletzen, habe ich es schließlich akzeptiert.« Er legte den Ball auf den Boden, griff sich in den Bund und zog etwas mit Stoff Umwickeltes heraus.
    »Der alte Mann erzählte mir die Legende von einer Gottheit, die er die erdengefangene Göttin nannte. Vor langer Zeit kam sie auf die Erde, um herauszufinden, was wir Menschen so an unserem Land liebten. Ein König nahm die Göttin gefangen und verlangte von ihr, sie solle ihn reich und mächtig machen. Als sie sich weigerte, sperrte er sie in eine unterirdische Kammer und drohte ihr, sie so lange dort zu belassen, bis sie ihm seine Wünsche erfüllt hätte.«
    Chac schlug den Stoff auseinander. Ein kleiner Gesteinsbrocken kam zum Vorschein.
    »Der alte Ananasverkäufer berichtete, dass er als junger Mann nach Palenque – das liegt im Westen – gepilgert sei, um in den berühmten Zeittempeln dort Kukulcán seine Ehrerbietung zu erweisen. Auf dem Rückweg sei er auf einen Wanderer gestoßen, der sterbend am Straßenrand lag. Der Ananashändler sei bei dem Mann geblieben und habe ihm bis zum Ende beigestanden. Für seine Freundlichkeit habe ihm der todkranke Mann dies hier geschenkt.«
    Geisterhaftes Mondlicht ließ den Gegenstand silbern schimmern. Was er darstellte, konnte Tonina nicht erkennen. Für sie sah er aus wie ein normaler Gesteinsbrocken.
    »Der Sterbende erzählte dem alten Ananasverkäufer, dass er sich nach Palenque aufgemacht habe, um die erdengefangene Göttin zu suchen und zu befreien. Noch immer sei sie dort unter der Erde eingesperrt. Sie verfüge zwar über uneingeschränkte Macht, nur nicht über die, sich selbst zu befreien, weshalb sie dem, der sie da herausholt, jeden Wunsch erfüllen werde.«
    »Was ist das?« Tonina nahm den Stein in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten.
    »Ich weiß es selbst nicht. Aber dem Ananasverkäufer zufolge liegt darin der Schlüssel dafür, die erdengefangene Gottheit zu finden. Schon viele hätten sich auf die Suche nach ihr gemacht, aber immer erfolglos. Dieser Stein, sagte er, sei ein Wegweiser.«
    Tonina gab den Gesteinsbrocken zurück. Während Chac ihn wieder in das Tuch einschlug und einsteckte, sann sie über die Geschichte nach. Wie wäre es wohl, eine Göttin zu befreien? Und was würde sie sich dann wünschen?
    Der Wind änderte die Richtung. Der Geruch von Feuerstellen und bratendem Fleisch wehte zu ihnen herüber. »Kommst du gut voran, diese große Gruppe zu organisieren?«, fragte Tonina und wandte sich zur Stadt um.
    »Es geht langsam. Ich habe mich um diese Aufgabe nicht gerissen.«
    »Aber es fällt dir so leicht, Befehle zu erteilen, und die Leute hören auf dich. Warum sträubst du dich, die Führung zu übernehmen, wenn du dafür geboren zu sein scheinst?«
    Chac ließ sich mit der Antwort Zeit. Tonina stand dicht bei ihm, er konnte ihren Kokosnussduft einatmen, der ihm nicht mehr lästig vorkam. Er spürte die Wärme, die ihre Haut ausstrahlte, und überlegte, wie es wohl wäre, mit seinen Fingern darüberzustreichen.
    »Ich muss immer daran denken, was mir meine Mutter eingeschärft hat, als ich ein kleiner Junge war«, sagte er nach einer Weile. ›Sei niemals ein Versager‹, lauteten ihre Worte. Das war ihre größte Angst, und bald wurde es zu meiner größten Angst. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich, wenn ich nicht überheblich bin und nicht nach den Sternen greifen will, nicht versagen kann.«
    »Beim Ballspiel beweist du doch vollen Einsatz«, entgegnete Tonina. »Und meist gewinnst du auch.«
    »Mit einer Mannschaft ist das etwas anderes. Wir alle geben unser Bestes, wir gewinnen gemeinsam. Aber allein … « Er schüttelte den Kopf.

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