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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ich, ich würde eines Tages meiner Mutter begegnen. Aber der Traum ist längst gestorben. Bis … «
    Chac wartete ab. Noch immer stützte er sie mit einem Arm ab, damit sie, wie er sich einredete, nicht wieder zusammenbrach. »Ich habe gesehen, wie du dich von deiner Mutter in der Palastküche verabschiedet hast. Du warst zärtlich und sie so voller Liebe. Das würde ich auch gern erleben.«
    »Du hast keine Ahnung, wer deine Eltern sind? Keinen Anhaltspunkt?«
    »Nur das hier.« Sie holte eine ihrer Halsketten unter ihrem Oberteil heraus – das noch immer in einem Futteral verborgene Medaillon. »Meine Großmutter hat es eingenäht, weil sie seine Macht fürchtete und auch Angst hatte, man könnte es stehlen.« »Du hast nie nachgesehen, was darin ist?«
    »Guama sagte, ich wüsste schon, wann es dafür an der Zeit sei. Aber diesen Zeitpunkt habe ich noch nicht gespürt.« Damit steckte sie den Anhänger wieder unter ihre Tunika. Dass sie Angst davor hatte, was beim Anblick des Inhalts des kleinen Beutels zutage treten könnte, verschwieg sie. Dann wäre ich nicht länger Tonina von der Perleninsel.
    »Ich habe auch die kleine Decke, in die ich gehüllt war«, sagte sie. »Guama meinte, die Stickerei könnte Aufschluss geben.«
    »Tonina, du musst deine Mutter suchen«, drängte Chac. Er selbst hatte immer seine Mutter um sich gehabt, sowohl als Kind als auch später, wenngleich ein paar Straßen von ihr entfernt. Sie nicht zu kennen, geschweige denn ihren Namen, war für ihn unvorstellbar.
    »Nein. Ich muss zur Perleninsel zurück«, erwiderte Tonina. »Das habe ich versprochen. Dabei wüsste ich zu gern, wer meine Mutter ist«, fügte sie sehnsüchtig hinzu. »Und woher ich komme. Meine Ursprünge. Meine Kultur. Wenn man mich nicht in einem Korb auf dem Meer ausgesetzt hätte – wer wäre ich wohl heute, wie würde ich heißen, welche Sprache sprechen, zu welchen Göttern beten? Wie verliefe dann mein Leben? Wie schön wäre es doch, unter meinesgleichen zu sein und nicht länger eine Außenseiterin!«
    Welch Ironie des Schicksals, überlegte Chac. Da war einerseits dieses Mädchen Tonina, die nichts über ihre Herkunft wusste, sich aber danach sehnte, es herauszufinden, und andererseits er, der sehr wohl um seine Abstammung wusste, dies aber lieber vergessen hätte.
    »Wie steht es mit dir?«, fragte sie. »Du hast die Sprache der Ananashändler verstanden.«
    Chac war die Frage unangenehm. Es war, als hätte sie ihn durchschaut. Obwohl er auf dieses heikle Thema nicht eingehen wollte, ahnte er, dass Tonina die Einzige war, die Verständnis für seine Situation aufbringen würde. »Ihre Sprache ist die meiner Kindheit. Meine Mutter sprach Nahuatl.«
    »Warum verachtest du dein Volk so?«
    »Ich verachte es nicht. Ich schäme mich für sie. Sie haben nichts geschaffen. Sie können weder lesen noch schreiben, wissen nichts von Astronomie oder Mathematik. Sie haben keine großen Städte erbaut und auch keine Durchgangsstraßen. Sie sind kaum besser entwickelt als die Tiere des Waldes.« Er hob den Blick und sah sie fest an.
    »Tonina, mein Leben lang habe ich meine Herkunft verleugnet. Und jetzt lerne ich dich, ein Mädchen von den Inseln, kennen, nur dass du gar nicht aussiehst wie die Menschen auf den Inseln. Ich vermute vielmehr, dass du, auch wenn du dich mit dieser weißen Farbe bemalst, meinem eigenen Volk angehörst, und das erschreckt mich. Am meisten aber erschreckt mich, dass ich Angst davor habe, mein Ziel zu erreichen.«
    Jetzt war es raus, ein spontanes Eingeständnis. Irgendwie fühlte er sich erleichtert, und vielleicht wurde er mit dieser Angst jetzt genauso fertig wie mit den vier Maya auf dem Marktplatz.
    »Teotihuacán«, sagte er um einiges ruhiger, »liegt mitten im Gebiet der Chichimeken, das heißt, dass dort mein Volk lebt, das ich verachte. Aber Paluma zuliebe muss ich mich dort hinbegeben. Ich bin entschlossen, weiter ein Maya zu bleiben und diesen Status nicht aufzugeben. Gleichzeitig fürchte ich mich davor, dass ich trotzdem dazu verleitet werde und dann meine Identität verliere.«
    Tonina verstand ihn nur zu gut. Sie selbst sah sich zunehmend mit einem Konflikt konfrontiert: Sollte es sich ergeben, dass sie ihr eigenes Volk wiederfand, würde sie dann stark genug sein, den Menschen auf der Perleninsel treu zu bleiben?
    »Früher, vor vielen Jahren, trug ich einen Nahua-Namen«, murmelte er jetzt und zog die dicken schwarzen Brauen zusammen, so als blickte er durch einen langen

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