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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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stellten? Vielleicht waren ja auch nackte Frauenbeine als unschicklich verpönt, und wenn dem so war, würde sich wohl niemand bereit erklären, ihr bei der Suche nach der roten Blume zu helfen.
    Sie spähte zum Lager. Verpflegung und Wassersäcke aus Tierhäuten sowie Waffen stapelten sich dort, und auf der anderen Seite der Lichtung, wie zum Trocknen über große Farnwedel ausgebreitet, entdeckte sie mehrere weiße Baumwollumhänge. Wieder legte Tonina den Finger an die Lippen und bedeutete dem Jungen, ihr zu folgen. Lautlos krochen sie gemeinsam um das Lager herum, und als sie bei den ausladenden Farnen anlangten, streckte Tonina die Hand nach dem Umhang aus, der ihr am nächsten war. Als Gegenwert wollte sie drei makellose runde Perlen zurücklassen, die in ihrem Dorf übliche Währung beim Erwerb von Baumwollnem.
    Als sie jedoch das Tuch von dem Farnbüschel riss, brach ohrenbetäubender Lärm aus.
    Zu spät bemerkte Tonina die Schnur, die am Umhang befestigt und mit einem weiteren oben in den Ästen eines Baums verknüpft war. Ein Ruck, und schon prasselten jede Menge Steine, Muscheln und Kokosnüsse zu Boden.
    Sofort sprangen die Jäger auf und griffen zu ihren Waffen. »Guay!«, zischte Tonina und floh in den Wald, dicht gefolgt von dem Jungen mit den gelben Augen.
    Sie kämpften sich an Bäumen vorbei und durch dorniges Gebüsch, hetzten durch Unterholz, setzten über umgestürzte Stämme hinweg, flogen förmlich über den trockenen, mit Zweigen bedeckten Boden. »Da hinauf!«, rief Tonina, als ihnen ihre Verfolger bedrohlich nahe gekommen waren, und sie kletterten einen dicht belaubten mächtigen Baum hinauf, hoch genug, um sich in den Ästen zu verbergen, ihre Verfolger aber beobachten zu können. Mucksmäuschenstill sahen Tonina und der Junge mit an, wie die braun- und schwarzgestreiften Männer an dem Baum, auf dem sie hockten, vorbeieilten und im Wald verschwanden. Erst als wieder Ruhe eingekehrt und bis auf das Zwitschern der Vögel und dem Rascheln kleinerer Tiere im Unterholz nichts zu hören war, verließen sie ihr Versteck.
    Tonina rieb sich ihre schmerzenden Gliedmaßen und überlegte. Die Jäger waren nach Süden geeilt, ihr Lager befand sich in östlicher Richtung, und sich nach Norden zu orientieren, würde Tonina weiter von ihrem Ziel abbringen. Blieb noch der Westen. Sie hatte keine Wahl. Im Moment war es wichtiger, am Leben zu bleiben, als die Blume zu finden.
    Sie sah, dass das Blut auf der Stirn des Jungen eingetrocknet war. Als sie die Wunde berühren wollte, zuckte er zusammen. »Alles in Ordnung mit dir?«, flüsterte sie.
    Er starrte auf ihre Lippen, und als sie die Frage wiederholte, nickte er.
    »Wir brauchen Wasser, um die Wunde zu reinigen. Kennst du dich hier aus?«
    Er richtete die goldfarbenen Augen auf die dicht an dicht stehenden Bäume. Viele trugen kein Laub mehr, die Vegetation wurde gelblich und verdorrte. Der Herbst war angebrochen, in der Tiefebene zog sich der Wald zum Winterschlaf zurück. Der Junge schüttelte den Kopf.
    Tonina faltete den gestohlenen Umhang auseinander und wickelte ihn sich um die Taille, sodass er sie bis auf halbe Wadenhöhe umhüllte. »Hier lang«, sagte sie, und sie setzten ihren Weg durch den mit vorangeschrittener Tageszeit immer dunkler werdenden Wald fort.
    Als sie so dahinmarschierten, stets auf der Hut, nicht von den Jägern entdeckt zu werden, machte sich bei Tonina zusehends Neugier breit. Was, so fragte sie sich, hatte es mit ihrem seltsamen Gefährten auf sich?
    Sein Gesicht war oval statt wie von ihrem Stamm gewohnt rund, und er war fast größer als sie – so etwas hatte sie noch nie erlebt. Sein langes schwarzes Haar war unterschiedlich lang und zerzaust, hatte wohl noch nie einen Kamm zu spüren bekommen. Sie schätzte ihn als etwa gleichaltrig ein, aber nichts deutete auf den Stamm oder Clan hin, dem er entstammte. Außer seinem Lendentuch trug er nichts am Körper, und seine Haut war unbemalt. Noch nie war Tonina jemandem begegnet, der nicht tätowiert gewesen wäre oder dem man nicht die Haut mit einem Schmuckstück durchstochen hätte. Eigenartig nackt und verletzlich sah er aus, wie ein neugeborenes Baby.
    Sie sah zum Himmel empor. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Beim letzten Tageslicht gelangten sie zu einer kleinen Lichtung, auf der etwas stand, das sie vor Erstaunen erstarren ließ.
    Aus einem Felsbrocken gefertigt und von Kletterpflanzen und Rankengewächsen umwuchert, erhob sich vor ihnen ein riesiger Affe. Er

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