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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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thronte auf einem steinernen Podest, über das sich Moos und Flechten zogen und das Baumwurzeln teilweise hatten bersten lassen. Steinerne Pranken, in denen ganz unterschiedliche Vögel nisteten, umspannten seinen behäbigen Bauch.
    »Guay!«, entfuhr es Tonina erschrocken, und unwillkürlich malte sie ein beschützendes Zeichen in die Luft. »Was ist das denn?« Ihr stummer, in Ehrfurcht erstarrter Begleiter schüttelte den Kopf.
    Das Maul des Affen war wie zu einem lautlosen Schrei aufgerissen und schien groß genug zu sein, um zwei Menschen als Versteck zu dienen. Die Erbauer dieses Schreins mussten Riesen gewesen sein, hatten ihn aber, wie es aussah, seit Jahren nicht mehr aufgesucht. Folglich hatten die beiden Herumirrenden wohl nichts zu befürchten. Sich gegenseitig Hilfestellung leistend, erklommen sie die gewaltige Statue, aus deren aufgerissenem Maul sie das umliegende Gelände überblicken und die eventuell herumstreifenden Adlerjäger beizeiten ausmachen konnten.
    Tonina nahm auf dem steinernen Boden der von Menschenhand gefertigten Höhlung Platz, überkreuzte die Beine und streifte sich den Reisesack von den schmerzenden Schultern. Der junge Mann verfolgte jede ihrer Bewegungen, so als sähe er so etwas zum ersten Mal. Tonina zog einen kleinen Beutel mit einer von Guamas Wundsalben heraus. »Leider haben wir kein Wasser, um vorher deine Wunde zu säubern«, meinte sie, als sie behutsam die grüne Paste auf die Verletzung auftrug. »Warum haben dich diese Männer eingesperrt?«
    Als er keine Antwort gab, fragte sie: »Verstehst du, was ich sage?« Großvater hatte sie darauf hingewiesen, dass die Menschen auf Festland sich in verschiedenen Sprachen verständigten. »Ob du mich wohl hören kannst?«, überlegte sie laut und wischte sich die Finger an dem Umhang ab, der ihr als Rock diente, ehe sie den kleinen Beutel wieder in den Reisesack stopfte.
    Der Junge hob die schmalen schwarzen Brauen, dann hellten sich seine Züge auf. Als er zustimmend nickte, sagte Tonina: »Wenn du meine Frage verstanden hast, dann sprich auch mit mir. Bin gespannt, wie sich das anhört. Du siehst nicht aus wie einer von den Inseln. Wie heißt du eigentlich?«
    Er starrte auf ihre Lippen.
    »Wie heißt du?«, wiederholte sie, um dann, indem sie sich auf die Brust klopfte, zu sagen: »Ich bin Tonina. Und wer bist du?«
    Seine Lippen mühten sich ab, ein Wort zu bilden. Aber kein Ton kam aus seinem Mund.
    Tonina lehnte sich zurück. Möglicherweise hatte die Verletzung an der Stirn bewirkt, dass er nicht mehr sprechen konnte. Und noch etwas fiel ihr ein. » Weißt du überhaupt, wie du heißt?«
    Die goldenen Augen auf sie geheftet, schien er nachzudenken. Als er den Kopf schüttelte, stand für Tonina fest, dass die Kopfwunde tatsächlich sein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt hatte. »Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
    Wieder schüttelte er den Kopf. Da er zu seinem Schutz weder Tätowierungen noch Nadeln am Körper aufwies und auch keine Federn, Halsketten oder Amulette trug, meinte sie: »Wenn du deinen Namen nicht kennst, bist du nicht vor bösen Geistern geschützt. Du musst einen Namen haben.«
    Sie versank ins Grübeln. Sich für einen Namen zu entscheiden war nicht einfach. Ihre eigenen Leute verwandten Tage darauf, sich auf den Namen für ein Kind festzulegen, gewährte der Name doch nicht nur Schutz vor dem Bösen, sondern war gleichzeitig schicksalweisend. Tonina dachte an den Käfig, in dem der Junge eingesperrt gewesen war, und an die großen Raubvögel in den anderen Käfigen und beschloss, ihn, bis ihm sein richtiger Name wieder einfiel, Tapferer Adler zu nennen.
    Als sie ihre Idee aussprach, erntete sie zu ihrer Verblüffung ein strahlendes Lächeln. Es drängte sie, noch mehr für ihn zu tun. Die Kette aus den Gehäusen der Strandschnecke fiel ihr ein, die Guama ihr als Glücksbringer eingepackt hatte. Sie zog sie heraus und streifte sie ihm über den Kopf, richtete die Glücksbringer an seinem bleichen Hals zurecht. »Sie sind Lokono geweiht, dem Geist des Alls«, sagte sie und fügte hinzu: »Jetzt bist du doppelt geschützt.« Wieder strahlte der Junge sie an.
    »Ich bin auf der Suche nach einer Blume«, sagte Tonina und bot Tapferem Adler Nüsse und getrocknete Beeren aus ihrem Sack an. Nur an Wasser mangelte es bedauerlicherweise. »Kennst du sie vielleicht?« Wie Großmutter formte sie mit ihren Fingern einen Kranz aus nach unten geneigten Blütenblättern und fügte hinzu: »Sie ist rot, so

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