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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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geschmückt, die Füße in erlesenen Sandalen. Auf der Perleninsel kleidete man sich mit Ausnahme des Stammeshäuptlings einheitlich. Keinem wäre es eingefallen, von dieser Art abzuweichen.
    Ganz benommen war Tonina vom Lärmen der Menge. Und der Duft der vielen verlockenden Angebote bewirkte, dass ihr Magen zu knurren begann. »Ich komme um vor Hunger«, sagte sie zu Tapferer Adler, der zustimmend nickte.
    Dann aber erspähte Tonina die Stände der Blumenverkäufer. Blitzschnell eilte sie, sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnend, darauf zu, musterte die bunte, duftende Blumenpracht. Da, eine Sorte mit roten Blüten! Und noch eine. Und noch eine. Nach jeder griff sie, begutachtete sie im Schein der Fackeln, legte sie wieder beiseite, bis einer der Händler ihr unmissverständlich bedeutete, sie solle entweder ihre Wahl treffen oder sich trollen. Als Tapferer Adler sich zu ihr gesellte und sie verwundert ansah, sagte Tonina enttäuscht: »Sie ist nicht dabei.«
    Unauffällig folgte Einauge den beiden, als sie die Blumenstände hinter sich ließen. Als sich ihm die Gelegenheit bot, rempelte er das Mädchen an, murmelte eine Entschuldigung in der Maya-Sprache und verschwand.
    Von niemandem beobachtet, öffnete er den Beutel, den er Tonina vom Gürtel geschnitten hatte. Sein einziges Auge wurde kugelrund. Perlen! Rund und makellos. Wie kamen diese beiden zu derartigem Reichtum? Unwichtig. Einauge war entzückt. Jetzt konnte er dieses elendige Land verlassen und sich auf eine Insel zurückziehen, wo er sich ein hübsches Haus zu kaufen und eine dicke Frau zu heiraten gedachte, die ihm zehn Kinder schenken würde. Er würde jeden Tag Fleisch und Hummer essen. Er würde Baumwolle tragen und sich mit Federn schmücken und sich wie ein König vorkommen. Er würde …
    »Guay!«
    Einauge fuhr herum. Das Mädchen hatte den Diebstahl bemerkt und entsetzt aufgeschrien. »Guay!«, rief sie abermals, ohne dass die Menschenmenge um sie herum sie beachtete.
    Einauge hingegen war wie versteinert. Das Mädchen redete aufgeregt auf ihren männlichen Begleiter ein, und zwar eindeutig auf Taíno, eine der vielen Inselsprachen. Einauges Unterkiefer klappte hinunter. Stammte sie etwa von einer Insel ?
    Sein Pech und die Götter verwünschend – so skrupellos er auch sein mochte, aber eine Anverwandte würde Einauge doch niemals bestehlen! –, überlegte er rasch und eilte dann dem Pärchen nach. »Gehört das dir?«, fragte er statt in der Sprache der Maya auf Taíno, worauf das Mädchen freudig überrascht reagierte.
    »Ich habe gesehen, wie der Dieb den Beutel an sich nahm, und bin ihm nachgelaufen«, sagte Einauge und händigte Tonina zögernd den kleinen Beutel wieder aus.
    Als sie ihm überschwänglich dankte, konnte Einauge erleichtert feststellen, dass sie tatsächlich zu seinem eigenen Volk gehörte, plapperte sie doch in seiner ureigenen Sprache und wie eine gebürtige Insulanerin drauf los, wenngleich mit dem Akzent und der Ausdrucksweise eines mehr im Westen lebenden Stammes. Auch das Haar trug sie nach Inselart, lang und durchwoben mit Hunderten winziger Muscheln und wenigen Perlen, und ihr Gesicht war bemalt mit vertrauten weißen Symbolen.
    »Möge der Segen der Götter mit dir und den Deinen sein«, sagte Einauge. Und unversehens fiel ihm eine andere Möglichkeit ein, das Mädchen um die Perlen zu erleichtern, ohne in einen Gewissenskonflikt zu geraten. »Hättest du Lust, dich mit deinem Freund zu mir an mein Feuer zu setzen?«
    Zu dritt schlängelten sie sich durch die Menge. Tonina fiel auf, dass Einauge der Händler mit seinem schlichten Lendenschurz und dem darüber am Hals zusammengeknoteten Umhang nicht nur auffallend klein war, sondern außerdem eigenartig humpelte. »Bist du ein Zwerg?«, fragte sie. Von solchen Menschen hatte sie gehört, wenngleich noch nie einen gesehen.
    »Ich bin ein Zwerg«, erwiderte er. »Das ist etwas Besonderes.« Als sie sein Lager unweit des Haupttors der Stadt erreichten – eine kleine, mit ausgebreiteten Decken markierte Fläche zwischen zwei lärmenden Familien –, sagte er: »Setzt euch, wo immer ihr Platz findet«, und ließ sich mit verschränkten Beinen nieder. Da der Platz zwischen den beiden Familien, die gerade beim Essen waren, sehr begrenzt war, mussten Tonina und Tapferer Adler auf Tuchfühlung zusammenrücken. Während der Händler die Glut in seiner Feuerstelle neu entfachte, musterte er verstohlen den so weich wirkenden Jungen und das eher knabenhafte Mädchen.

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