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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
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gewesen und noch fähig zu wütendem Hass. Hass empfand er noch immer, aber keine Wut. Er war hier, weil dieses Land eine Rechnung zu bezahlen hatte. In drei Tagen würde es bezahlen.
    »Vor zwei Stunden wurde ein Schlauchboot gefunden, an der Südküste Kretas«, sagte die Blechstimme.
    »Ach ja?«
    »Mit festem Rumpf und starken Außenbordern. Die Polizei untersucht den Vorfall.«
    »Soll sie.«
    Die Polizei hatte also das Boot gefunden. Das war nicht geplant gewesen. Aber es war auch nicht wichtig.
    »Es wäre besser, das Boot wäre unentdeckt geblieben«, sagte die Stimme. »Besser, der Mann wäre zurückgekehrt.«
    »Das war nicht möglich.«
    »Warum nicht?«
    Gabriel diskutierte nie die Details eines Auftrages. Es machte den Auftraggeber nur nervös. Er war für den Erfolg zuständig, er würde Erfolg liefern. All die kleinen Hindernisse auf dem Weg gingen den Kunden nichts an.
    »Wo ist der Mann?«
    »Er wird nicht mehr reden.«
    »Sie haben ihn getötet?«
    Ein Gemüsetransporter blies eine Abgaswolke ins offene Fenster. Nichts bedeutete für den Erfolg eines Auftrages eine größere Gefahr als der Auftraggeber selbst. Wenn er ängstlich wurde. Zurückschreckte. Maßnahmen auf eigene Faust ergriff und nichts als Unheil stiftete. Beunruhigte er sich trotzdem wegen irgendeiner banalen Störung – zum Beispiel wegen eines Schlauchbootes, von dem in drei Tagen sowieso niemand mehr reden würde –, so musste man ihn besänftigen. Gabriel sagte:
    »Ich wollte, dass das Schlauchboot gefunden wurde.«
    »Warum?«
    »Verfolgen Sie Spuren. Verhaften Sie Verdächtige. Werfen Sie den Zeitungen ein paar Brocken hin.«
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Wenn es so weit ist, wollen Sie nicht überrascht wirken, oder? Sie haben die Sache ernst genommen. Sie haben die Bedrohung gesehen. Aber Ihre Hände waren gefesselt. Ihre Leute durften nicht handeln. Das sollen die Zeitungen schreiben, das werden sie schreiben. Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten. Nutzen Sie das Schlauchboot!«
    Gabriel gab dem Fahrer Anweisung, an der Metrostation Kallithéa zu halten. Sein Kunde sollte sich nicht mit Details befassen, noch weniger mit Gabriels nächstem Ziel. Er öffnete die Tür.
    »Sie wollten das beste Pferd«, sagte er. »Sie haben das beste Pferd. Sie sind der Reiter. Konzentrieren Sie sich auf das Ziel. Die Steinchen auf dem Weg überlassen Sie mir.«
    Er wartete nicht auf Antwort von der Rückbank. Er stieg aus und schlug die Tür zu. Der Wagen fuhr an, Gabriel ging die letzten Meter zum Eingang der Metrostation. Das Bild mit dem Reiter hatte er schon öfter benutzt. Es verfehlte nie seine Wirkung. Das Gitter zur Metrostation war heruntergelassen. Ein Schild informierte, dass der Zugverkehr auf der Linie 1 zwischen Távros und Fáliro unterbrochen war wegen Bauarbeiten. Die Luft war schwül, dunkle Wolken hingen tief am Himmel.
    Er legte die Schlaufe um sein Handgelenk. Seine Finger umschlossen fest den Griff des Koffers.

6
    Wegen der Tochter Neleus’, und seines rasenden Wahnsinns,
    Welchen ihm die Erinnys, die schreckliche Göttin, gesendet.
    Dennoch entfloh er dem Tod’, und trieb aus Phylakes Auen …
    Maria ließ das Buch sinken. Konzentration unmöglich. Zu viel Hitze, zu viel Kindergeschrei. Der Sommerhit aus dem Ghettoblaster des Eisverkäufers: »Baa-baa-bi-baa-boo« . Und in jedem Schatten, jeder Bewegung glaubte sie den Mann vom Plateau zu sehen. Plötzlich stand er vor ihr, das Gesicht verzerrt vor Wut, ein Messer in der Hand. Natürlich, das war Unsinn. Er würde nicht wagen, nachmittags an einem überfüllten Strand aufzutauchen. Aber wenn er ihr auflauerte? Ein Schuss aus dem Hinterhalt? Es gab hier keinen Hinterhalt. Und Kommissar Gerakákis hatte recht, wahrscheinlich suchte er nicht nach ihr. Wahrscheinlich kannte er nicht einmal den Artikel. Aber wenn doch, würde er sie finden. Ferienanlage nahe Heraklion , so viele gab es nicht. Er konnte herumfragen, die Fotos aus der Pátris in der Hand. Ein bisschen Glück, ein Trinkgeld für einen der wandernden Eisverkäufer …
    »Maria!«
    Julian saß auf den Schultern seiner Mutter, winkte ihr aus dem Wasser zu. Er liebte seine Mutter, wie ein fünfjähriger Junge seine Mutter eben liebt. Noch glaubte er das Märchen von der wichtigen Konferenz, zu der Papa hatte fahren müssen. Und dass er nur deshalb nicht mit seiner Familie auf Kreta sein konnte. Wie lange würde Julian es noch glauben? Wenn sie zurückkamen, in ihre Wohnung in Berlin, und Papa war immer noch auf der

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