Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
zurück in der libyschen Hoheitszone. In griechischen Gewässern sind Sie nur nachts.«
»Sie glauben«, fragte Maria, »der Mann, den ich in den Bergen getroffen habe, ist in dem Zodiac aus Libyen gekommen?«
»Nein. Weil es ihm wenig nützen würde. Egal, ob Sie von Kreta die Fähre nehmen oder das Flugzeug, Sie brauchen gültige Papiere. Wenn Sie gültige Papiere haben, müssen Sie nicht nachts im Schlauchboot kommen.«
»Der Koffer?«
»Ich vermute, er wurde ihm aus Libyen gebracht. Deshalb hatte er den Mietwagen. Möglich, er hat den Kurier ermordet. Sie sind auf Ihrem Rad gekommen, als er die Leiche loswerden wollte. Das alles ist aber Spekulation. Die einzige Verbindung zwischen dem Zodiac und dem Mann mit dem Koffer ist Ihre Aussage. Aber angenommen, wir finden die Leiche und können den Mann als verdächtig verhaften; dann sind Sie die einzige Zeugin.« Er faltete die Karte wieder zusammen und steckte sie ins Handschuhfach.
»Was, glauben Sie, ist in dem Koffer?«
»Wir wissen es nicht.«
»Aber Sie haben eine Ahnung?«
Er zögerte. »Ich sage Ihnen jetzt schon mehr, als ich sagen darf. Weil ich möchte, dass Sie begreifen: Sie sind in Gefahr. In Deutschland könnte man über so eine Sache eine Nachrichtensperre verhängen. Nicht auf einer griechischen Insel. Die Leute reden, stellen Sachen ins Netz, die Zeitungen schreiben. Und Sie, die einzige Zeugin, liegen ungeschützt am Strand.«
»Sie wollen, dass ich Kreta verlasse«, sagte Maria.
»Ja.«
»Ich soll nach Deutschland zurückfliegen.«
»Besser. Der griechische Staat macht Ihnen ein Angebot.« Er griff nach seinem Jackett auf der Rückbank, zog einen Briefumschlag heraus und hielt ihn ihr hin. »Dieser Umschlag enthält ein Rückflugticket nach Athen. Außerdem eine Hotelreservierung. Drei Nächte Titania-Hotel, vier Sterne, Sie werden sich wohl fühlen. Wer übernimmt die Kosten? Der griechische Steuerzahler. Warum übernimmt er die Kosten? Weil es billiger ist, als Ihnen Bodyguards an den Strand zu stellen. Weil eine deutsche Touristin, die aus Sicherheitsgründen ihren Urlaub abbrechen muss, schlecht ist fürs Image. Und Schlagzeilen über eine ermordete Touristin wären katastrophal fürs Image.«
Sie schwiegen. Ein weißer Ford Fiesta fuhr an ihnen vorbei, dann noch einer.
»Wir ermitteln natürlich weiter«, sagte der Kommissar. »Wir befragen die Autovermieter. Wir werten die Überwachungskameras am Flughafen aus. Aber der Mann, den Sie beschrieben haben –«
»Ist unauffällig.«
»Er klebt sich einen Schnäuzer unter die Nase, wir haben keine Chance. Und der weiße Ford Fiesta …«
»Kreta ist voll davon.«
Gerakákis nickte. Er hielt immer noch den Umschlag in der Hand. Wartete, dass Maria ihn nahm.
»Warum drei Nächte?«, fragte Maria.
»Wir hoffen, bis dahin sind wir weiter. Das Hotelpersonal soll uns jeden melden, der nach Ihnen fragt.«
»Das Problem ist«, sagte Maria, »ich bin mit meiner Nachbarin hier. Sie hat einen fünfjährigen Sohn. Sie neigt zum Trinken. Solange ich in der Nähe bin, reißt sie sich zusammen. Aber wenn ich nicht aufpasse –«
»Ihr Foto ist in der Zeitung! Sie sind die einzige Zeugin! Wir können Sie nicht schützen!«
»Ich weiß.«
»Und es gibt noch einen Punkt. Seien wir ehrlich, Frau Brecht. Sie sind keine Frau, die es acht Tage in einem Liegestuhl am Strand aushält. Sie drehen durch und steigen doch wieder aufs Rad.«
»Sie könnten recht haben.«
»Drei Tage Athen. Auf Staatskosten. Es könnte Ihnen gefallen.«
Zum ersten Mal sah sie ihn lächeln. Sie sagte:
»Ich habe eine Bitte.«
7
Regen prasselte aufs Pflaster, Bäche stürzten die Treppe hinunter in den Metroschacht. Passanten standen gedrängt auf den Stufen, nur wenige Mutige, Zeitungen oder Aktentaschen über ihrem Kopf, stürzten sich in die Nässe.
» Parakaló … Efcharistó …«
Bitte … Danke … Maria bahnte sich ihren Weg die Treppe hoch. Ihr kleiner Rucksack war wasserdicht, und die Nässe störte sie nicht, im Gegenteil. In der überfüllten Metro vom Flughafen ins Stadtzentrum hatte die Klimaanlage nicht funktioniert. Die Menschen hatten geschwitzt, geschimpft, mit Zeitungen und batteriebetriebenen Ventilatoren nutzlos in der feuchtheißen Luft gerührt.
Auf dem Omónia-Platz sammelte sich das Wasser in Seen. Zwischen Müllhaufen und verwittertem Beton kauerten afrikanische Straßenhändler unter Plastikplanen, neben gefälschten Armanigürteln und Pradataschen.
»You need something?«
»Yes« ,
Weitere Kostenlose Bücher