Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Konferenz? Und er musste spüren, dass seine Mutter nicht so fröhlich war, wie sie tat. Drei Gläser Raki Tonic, einen vierten hatte Maria gestern Abend mit strengem Blick verhindert. Aber mit jedem Tag, den Undine vergeblich auf Roberts Anruf wartete, würde es schwieriger werden. Dieser fürchterliche Morgen im U-Turn. Undine sturzbetrunken auf ihrem Hocker. Maria hinter der Bar, sie hatte sich geweigert, ihr das Wodkaglas ein x-tes Mal vollzuschenken. Undine hatte getobt und gedroht, von einer Asozialen aus der Drogen-WG im Hinterhaus lasse sie sich nicht ihr Vergnügen verbieten! Ständig versperre Marias Rennrad den Eingang zur Kellertreppe, her mit der Wodkaflasche, sonst würde sie die Polizei rufen, die Reifen aufschlitzen, den Briefkasten anzünden!
Maria schloss die Augen. Sie hatte schlecht geschlafen, letzte Nacht. Was sie bis in die Träume verfolgt hatte, war nicht das Blut gewesen, nicht ihr Sturz, nicht das Gesicht des Mannes, sondern die Steine. Sie erinnerte sich kaum noch an die Bilder, umso mehr an ihre rasende Wut. Am Ende der Feuerstein. Ihr Wurf, mit voller Kraft, als er schon neben seinem Wagen stand. Sie hörte wieder seinen Schrei. Sie hatte die Schulter getroffen. Aber worauf hatte sie gezielt?
»Guck mal, Maria!«
Undine kam aus dem Wasser, Julian auf ihren Schultern. Er hielt eine viel zu große Sonnenbrille mit rosa Gestell auf seinem Kopf fest.
»Habe ich gefunden! Ganz tief im Wasser!«
»Steht dir super.«
»Wie war’s bei der Polizei?«, fragte Undine, während sie Julian absetzte.
»Nur Routine.«
»Hast du in Berlin angerufen?«
»Noch nicht.«
»Ich verstehe dich nicht. Du hast Wochen und Monate für diese Prüfung gepaukt.«
»Das meiste wusste ich schon vorher.«
»Zwölf! Von achthundert Bewerbern!«
»Julian zielte mit seiner Sonnenbrille auf Maria. »Peng!«
»Nimm mein Telefon.«
»Ich habe die Nummer nicht hier.«
»Maria, du bist tot!«
»Rufe die Auskunft an!«
»Heirat oder Leben!«
»Julian, hör auf mit dem Quatsch!«
Ein Telefon klingelte. In Undines Tasche. Undine erstarrte. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, das locker wirken sollte.
»Nicht mal im Urlaub hat man seine Ruhe«, lachte sie. Ihre zitternden Hände griffen in die Tasche. Sie fand das Telefon nicht. Es klingelte lauter. Sie kippte die Tasche aus, das Telefon fiel in den Sand. Sie riss es an ihr Ohr:
»Hallihallo?!!«
Sie horchte. Sie schluckte. Sie hielt Maria das Telefon hin.
»Für dich.«
Maria erkannte die Stimme von Kommissar Gerakákis.
»Frau Brecht? Wo sind Sie?«
»Am Strand.«
»Gehen Sie in Ihr Zimmer. Achten Sie darauf, dass Ihnen niemand folgt. Packen Sie, was Sie für drei Tage brauchen. Ich warte vor dem Hotel im Wagen.«
»Aber –«
»Sie müssen Kreta verlassen!«
Der Polizeiwagen stand in der Auffahrt des Hotels. Maria öffnete die Tür und setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Wo ist Ihr Koffer?«, fragte Gerakákis.
»Ich habe nichts gepackt.«
»Ich hatte Sie gebeten –«
»Können Sie nicht erst mal erklären, worum es geht?«
Er seufzte. »Hat Embiríkos Sie heute Morgen zurückgefahren?«
»Ja?«
»Hat er etwas gesagt?«
»Er hat telefoniert, gelacht und getan, als wäre nichts passiert.«
»Er ist ein Idiot! Es ist einiges passiert!«
Er breitete eine Karte von Kreta über dem Armaturenbrett aus. »Heute Morgen wurde ein Boot gefunden, an der Südküste. Hier, östlich von Agía Galíni. Versteckt in einer Bucht. Ein Zodiac, ein Festrumpfschlauchboot mit zwei ungewöhnlich starken Außenbordern. Wahrscheinlich liegt es dort seit vorletzter Nacht. In dem Boot haben wir Treibstoffvorräte gefunden, außerdem eine Bootskiste. Groß genug, um einen Koffer zu transportieren, wie Sie ihn beschrieben haben. In der Kiste haben wir wenig gefunden bis auf ein GPS-Gerät, eine Tüte Pistazien, zwei Flaschen Bin-Ghashir-Mineralwasser. Das ist eine gängige Marke in Libyen.«
»Libyen?«
Er faltete die Karte weiter auseinander. Maria sah nun das ganze östliche Mittelmeer. Sie war überrascht, dass Kreta vom griechischen Festland ebenso weit entfernt war wie von der Küste Afrikas.
»Kreta ist die südlichste bewohnte Insel Griechenlands«, sagte Gerakákis. »Bis Darnah, der nördlichsten Hafenstadt Libyens, sind es gut dreihundert Kilometer. Meine Kollegen schätzen, der Zodiac schafft bei ruhiger See siebzig Stundenkilometer. Auch wenn die See nicht ruhig ist: Sie können bei Sonnenuntergang in Libyen losfahren und sind bei Sonnenaufgang
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