Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Kontrolle halten. Ein Lehrer, da war es nicht schwer gewesen. Gabriel hätte, um an dieser Tötung zu wachsen, die Aufgabe schwieriger wählen müssen. Er drehte seinen linken Arm. Plötzlich hatte er in der Schulter einen stechenden Schmerz gespürt. Er hatte den Kragen nicht richtig gepackt, der Kopf war gegen die Bordwand geschlagen. Er drehte die Schulter, streckte den Arm, versuchte, die Bewegung exakt zu wiederholen. Er fand den Schmerzpunkt nicht. Egal, der Mann war tot. Kein Blut, keine Zeugen, er hatte das Boot. Sechs Meter, kleine Kabine, neuer Dieselmotor. Für seine Zwecke ideal.
Niemand war am Steg gewesen, als sie hinausfuhren. Niemand würde Verdacht schöpfen, wenn er allein zurückkam. Der Lehrer hatte kurz vor dem Ablegen mit seiner Frau telefoniert. Sie wohnte im Norden Athens und erwartete ihn bis zum Abend nicht zurück. Gabriel konnte das Boot natürlich nach Süden steuern, um das Kap Soúmio, nach Rafína oder Pórto Ráfti. Aber da war noch der Mazda. Er konnte ihn an einer möglichst einsamen Stelle der Küste parken. Die Türen offen, Papiere und Telefon auf dem Sitz. Viele griechische Männer brachten sich seit Ausbruch der Krise um. Andererseits: Die Bauarbeiten auf der Linie 1. In zwei Tagen konnte er den Mazda gut gebrauchen.
Gabriel drosselte den Motor. Er suchte in der Kabine, fand ein Fernglas, richtete es auf das Schiff, das gerade in den Hafen einlief. Achtundfünfzig Meter Länge. Sieben Komma sechs Meter Breite. Niedrige Bordwand. Gut zu sehen der Kran, die Rettungsboote, am Bug die Kanone. Kein Detail, das er nicht schon kannte. Die Position der Luken, der Leitern, alles hatte er im Kopf. Aber es war immer sicherer, die Erinnerung frisch zu halten. Die jungen Männer an Deck zu sehen, die sich aufs Festmachen vorbereiteten. Die sich auf ihre Familien freuten, ihre Mädchen, ein kühles Bier … Auf ein Leben, von dem sie glaubten, es läge noch vor ihnen.
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Ludmilla333 möchte mit dir befreundet sein. Melde dich jetzt an, um mit Ludmilla in Kontakt zu treten.
Maria wollte nicht mit Ludmilla in Kontakt treten. Sie wollte sich nicht in einem sozialen Netzwerk anmelden. Vor allem: Sie wusste, wer Ludmilla333 war. Sie hatte ihrer Mutter eine Freude machen wollen, zur Silberhochzeit. Von ihrem Mann, das war klar, würde es nichts geben. Netbook mit Internet-Stick und einem Jahr Flatrate inklusive. Am Anfang hatte ihre Mutter furchtbar Angst gehabt, sich kaum getraut, einen Finger aufs Touchpad zu legen. Sie hatte die Enter-Taste gedrückt, ein Programm war abgestürzt, sie war in Tränen ausgebrochen. Dann die Abo-Fallen – vierundzwanzig Monate à dreißig Euro für einen Bildschirm-Schoner. Mehr als einmal hatte Maria ihre Mutter mit Drohbriefen an die Anwälte wieder herauspauken müssen. Das passierte nicht mehr. Stattdessen hatte ihre Mutter die Wunderwelt der sozialen Netzwerke entdeckt. Mitten in der Nacht schreckte sie hoch, checkte Mails aus Kasachstan, Mexiko, Namibia – wo immer die Menschen saßen, die sie als ihre Freunde bezeichnete. Sie hatte vierunddreißig Freunde auf Facebook. Nicht spektakulär, aber auch nicht wenig für eine sechsundvierzigjährige Frau ohne Arbeit, die in einem Plattenbau in Rostock-Lichtenhagen lebte. Allein mit einem Mann, mit dem sie nicht sprach, und einem taubstummen Nymphensittich, der nicht mit ihr sprach.
»Warum bist du nicht auf Facebook?«
»Mama, wir können telefonieren.«
»Aber ich wüsste viel besser, was du so machst!«
Maria hatte ein Internetcafé gefunden, in einer Straße hinter ihrem Hotel. Halbwüchsige saßen links und rechts von ihr, auf den Monitoren schlugen Raketen ein, explodierten Bomben. Sie öffnete ihre weiteren Mails: Sven und Moritz luden zu ihrer Hochzeit. Darja, wieder solo, freute sich über die Geburt von Zwillingen. Maria sollte ihreStimme gegen Landminen in Angola erheben und für Säureopfer in Bangladesch.
Toi, toi, toi für deine Karriere auf diplomatischem Parkett! Ich weiß es von Alexia, einer deiner Mitbewerberinnen. Alles Gute für die letzte Runde. Wer hätte das der kleinen Maria zugetraut?
Jochen Saeckmann, auf dem Gymnasium waren sie zusammen Schulsprecher gewesen. Mit vierundzwanzig Jahren war er Teilhaber einer Unternehmensberatung in Nürnberg, hatte drei Kinder und saß, als Rostocker, für die CSU im Stadtrat. Überholspur, Gaspedal durchtreten und immer geradeaus – das war Jochen gewesen, schon damals. Ich weiß es von Alexia, einer deiner Mitbewerberinnen. Sie erinnerte
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