Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Zeit nicht viel. Was es hatte, war ein Besitztitel aus dem 14. Jahrhundert über einen See. Dieser See lag in einem Naturschutzgebiet und war so gut wie wertlos. Aber die Mönche sind nach Athen gereist und haben den See getauscht. Gegen staatliche Grundstücke, Athener Innenstadt, ehemaliges Olympiagelände, beste Lagen. Nicht gegen ein Grundstück, nicht gegen zehn – gegen dreiundsiebzig!«
»Wie haben sie das geschafft?«
»Niemand weiß es. Bis heute. Es gab Prozesse und Ausschüsse, die konservative Regierung ist über den Skandal gestürzt. Die Mönche haben, im Tausch gegen einen wertlosen See, ein Immobilienvermögen von eineinhalb Milliarden Euro zusammengerafft! Sie müssen die Politiker mit unglaublichen Summen geschmiert haben. Andístasi hatte angeblich geheime Unterlagen. Die bewiesen, dass Ministerpräsident Kóstas Karamanlís von den Mönchen mehrere Millionen Euro bekommen hatte. Aber Andístasi hat die Unterlagen nie veröffentlicht. Die Zeitung wurde eingestellt.«
»Warum?«
»Ich habe es nicht herausgefunden. Ich habe wirklich gesucht. Niemand hat darüber geschrieben. Wie wenn die griechische Presse plötzlich einen Maulkorb hatte.«
»Und Eléni Galánis?«
»Sie wird noch hin und wieder in Foren erwähnt. Aber sie hat keinen Job mehr. Als ob sie auf einer schwarzen Liste steht.«
Maria hörte Grölen. Irgendwo ging eine Fensterscheibe kaputt.
»Da ist noch was«, sagte Alexia. »Ihr Vater, der Vizegouverneur. Vor sechs Wochen gab es in seiner Villa einen Raubüberfall. Er wurde in seinem Pool ertränkt.«
24
Er hatte vergessen, in der Apotheke Alkohol zu kaufen. Er konnte die Einstichstelle nicht desinfizieren. Dann musste es eben so gehen. Er biss die Zähne zusammen und stach die Kanüle ins entzündete Fleisch. Einige Tropfen Blut fielen ins Waschbecken. Er drückte fünf Milliliter Lidocain in die Wunde. Er spürte den Schmerz des Druckes und der Nadel in seinem Fleisch. Aber nur wenige Sekunden. Er spürte Wärme, in der der Schmerz sich langsam verflüchtigte. Nach einer Minute spürte er auch die Wärme nicht mehr. Nach fünf Minuten war seine Schulter vollkommen taub. Er konnte sie drehen, strecken, er konnte mit der Handfläche auf die Wunde drücken. Er spürte keine Behinderung, keine Schwäche. Er schluckte zwei Diclofenac-Tabletten gegen die Entzündung. Die Dramadol-Tabletten brauchte er nicht. Er fühlte sich stark. Er fühlte sich klar. Der Vorrat an Spritzen und Tabletten würde reichen für die nächsten zwei Tage. Bis sein Plan erfüllt war, bis er Griechenland – oder was davon noch übrig war – verlassen hatte. Er hatte in Beirut seinen Hausarzt, dem er vertraute. Er hatte weitere Hausärzte in Kairo, Dubai, Damaskus und Lausanne. Er glaubte nicht an teure Spezialisten.
Er setzte sich aufs Bett. Stille im Nebenzimmer. Wahrscheinlich schlief die Mutter. Ihre Tochter kaufte Gummis gegen Kinder. Er hatte eine Weile in der Innenstadt suchen müssen. Das dreckige Mädchen war ihm gefolgt wie eine hungrige Ratte. Ein Zeitungsstand auf dem Sýntagma-Platz hatte ihm endlich eine Pátris verkaufen können. Großes Foto der zugedeckten Leiche auf dem Titelblatt. Große Fotos der Deutschen im Innenteil.
Titania-Hotel. Immer klarer sah er das Uhrwerk seines Planes. Die Deutsche war nicht länger ein Sandkorn im Getriebe. Sie war ein notwendiges Rädchen. Aber es war noch zu früh zum Handeln. Sieben Uhr. Keinen seiner Schritte durfte er überstürzen.
Was den Starken vom Schwachen unterscheidet, ist die Fähigkeit zu warten. Sein erster Auftrag, zwei Tage nach seinem fünfzehnten Geburtstag. Ein Kurier der Hisbollah, der angeblich mit den Israelis kollaborierte. Ein einfaches Ziel, sobald er sein Haus verließ. Bloß wusste niemand, wann das sein würde.
Gabriel hatte sich hinter einen Erdhaufen gelegt, eine Dragunow im Anschlag. Er hatte gewartet. Er hatte Cola getrunken, Brot gegessen und auf das Tor der Umfassungsmauer gestarrt, eine Nacht und einen Tag. Er hatte auf dem Boden gelegen und in die Erde gepinkelt. Weil er auf dem Bauch nicht kacken konnte, hatte er nicht gekackt. Als die Cola nicht mehr half gegen die Müdigkeit, hatte er Kaffeebohnen gekaut. Nach zwei Tagen und zwei Nächten hatte er halb zerkaute Kaffeebohnen gekotzt. Nach drei Tagen und drei Nächten hatte er seine Arme blutig gebissen, nicht gegen die Müdigkeit, sondern gegen die Halluzinationen. Am frühen Morgen des vierten Tages war das Tor aufgerollt und der schwarze Toyota Hilux war
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