Das Pestkind: Roman (German Edition)
lächelte seinen alten Freund aufmunternd an. »Und es gibt da noch etwas, was ich Euch erzählen muss. Vielleicht könnt Ihr mir auch in dieser Angelegenheit einen Rat geben.«
Der alte Priester griff nach seinem Stock.
»Ich bin aber nicht mehr der Schnellste.«
Pater Franz lächelte nachsichtig.
»Das macht nichts. Ich habe Zeit.«
*
Einige Zeit danach stand Pater Franz vor dem Haus des Bürgermeisters, das direkt am Marktplatz lag. Das Gebäude war prunkvoll mit Stuck verziert, und über den Laubengängen schmückten kunstvoll aufgemalte, geschwungene Bogen die Fassade. Die Familie des Bürgermeisters war nie arm gewesen, und selbst in den grausamsten Zeiten des Krieges hatte in diesem Haus niemand Hunger leiden müssen.
Er trat in den Schatten des Laubenganges. Die Haustür stand offen, und ein junges Mädchen, vermutlich die Tochter des Stadtobersten, musterte ihn neugierig. Das Mädchen war vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Sie sah sehr hübsch aus, ihre blonden Haare waren ordentlich geflochten, und ihr Kleid und ihre Schürze waren sauber.
Freundlich lächelte der Priester das Mädchen an.
»Grüß dich Gott, mein Kind. Ist dein Vater zu Hause?«
Die Kleine nickte eifrig und deutete hinter sich in den Flur.
»Er ist zu Tisch. Was willst du denn von ihm«, fragte sie neugierig und zog die Augenbrauen hoch.
Pater Franz musste innerlich lächeln.
»Etwas Geschäftliches«, erwiderte er schmunzelnd.
Die Kleine seufzte.
»Immer ist es etwas Geschäftliches. Keiner will mir sagen, warum er kommt. Und ich würde es doch so gern wissen.«
Sie verschränkte die Arme, zog einen Schmollmund, drehte sich um und ging die Treppe hinauf.
Der Abt blickte ihr verwundert hinterher. Aus der Küche trat eine Magd und sah den Pater fragend an.
»Wie kann ich Euch helfen?«
»Ich würde gern mit dem Bürgermeister sprechen«, antwortete er höflich.
Die Magd deutete in den hinteren Teil des Flurs.
»Dritte Tür links. Er ist gerade beim Essen. Aber gegen Euren Besuch wird er gewiss nichts haben.« Sie verschwand wieder in der Küche.
Pater Franz atmete tief durch, ging den Flur entlang und klopfte an die besagte Tür. Nach einem lauten »Herein« betrat er den Raum.
Der Bürgermeister ließ den Löffel sinken und erstarrte. Seine Gattin, die ebenfalls mit am Tisch saß und anscheinend ein Kind erwartete, drehte sich neugierig um. Pater Franz verneigte sich kurz.
Es duftete verführerisch nach Hühnersuppe und frischem Brot. Der kleine Raum selbst war schlicht eingerichtet. Ein ovaler Eichentisch stand in einer Fensternische, in der aus demselben Holz eine Sitzbank eingebaut worden war. Ein großer Kachelofen und eine Anrichte, vor der ein bunter Flickenteppich lag, rundeten das Bild ab.
Der Bürgermeister erhob sich. »Grüß Gott, Pater Franz«, sagte er, sichtlich um Haltung bemüht, und wandte sich an seine Frau. »Liebes, lass uns doch bitte allein.«
Seine Gattin nickte. Die junge Frau war Anfang zwanzig. Erst vor zwei Jahren hatten die beiden geheiratet. Sie hatte eine gute Partie mit dem Bürgermeister gemacht, der bereits zum zweiten Mal Witwer war. Seine erste Frau war an der Pest gestorben, die zweite im Kindbett.
»Was wollt Ihr«, fragte Xaver Breitner, nachdem seine Gattin die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Pater Franz trat langsam näher.
»Mit Euch reden.« Er sah den Bürgermeister offen an.
»Ich will aber nicht mit Euch reden. Ich habe Euch unter dem Beichtgeheimnis etwas anvertraut, dabei solltet Ihr es belassen.«
Pater Franz wollte so schnell nicht aufgeben. Jetzt war er hier, also musste er wenigstens versuchen, dem Mann ins Gewissen zu reden.
»Der Junge wird unschuldig hängen. Gott wird Euch das niemals verzeihen. Ihr liefert ihn der Schlachtbank aus, nur wegen einer kleinen Liebschaft, die man Euch gewiss schnell verzeihen wird. So mancher Mann ist bereits anderweitig schwach geworden, da seid Ihr nicht der Einzige.«
Der Bürgermeister warf dem Mönch einen wütenden Blick zu.
»Nichts versteht Ihr. Ich habe sehr wohl einen Ruf zu verlieren. Wie Ihr wisst, ist die Kirche sehr streng, wenn man ihre Gebote bricht. Wer weiß, was mit mir geschieht, wenn das herauskommt. Ich kann es mir nicht leisten, lächerlich gemacht zu werden. Den Posten des Bürgermeisters habe ich mir schwer erarbeitet. Ich lasse mir das von so einer unwichtigen Sache nicht ruinieren.«
»Also ist es unwichtig, wenn ein Unschuldiger am Galgen baumelt?«
Breitner sah den Pater kalt an und
Weitere Kostenlose Bücher