Das Pestkind: Roman (German Edition)
zuckte mit den Schultern.
»Er ist doch nur ein dummer Junge und ganz allein auf der Welt. Niemand wird ihn vermissen, und am Ende ist es sogar besser, wenn er stirbt.«
»Das ist nicht Euer Ernst.«
»Das ist es durchaus.« Xaver Breitner setzte sich wieder und griff nach seinem Suppenlöffel.
»Und jetzt möchte ich Euch bitten zu gehen. Ich denke, wir haben uns nichts mehr zu sagen.«
Verzweifelt stand Pater Franz auf dem Marktplatz und schüttelte den Kopf. Die Sonne verschwand langsam hinter den Häusern, und die länger werdenden Schatten kündigten den Abend an. Um ihn herum war ein geschäftiges Treiben. Fuhrwerke kreuzten seinen Weg, und Händler mit Bauchläden und Blumenmädchen musterten ihn im Vorbeigehen neugierig.
Enttäuscht blickte er zum Stockhammer Bräu hinüber, das ruhig in der Nachmittagssonne vor ihm lag. Wie gern hätte er dem Jungen geholfen, doch langsam schwand jede Hoffnung. Margit war wie vom Erdboden verschluckt, und der Bürgermeister, das wusste er jetzt, würde niemals freiwillig als Zeuge gegen den Büttel aussagen. Er erinnerte sich an den Nachmittag im Rosengarten, an Mariannes Blick. Sie vertraute ihm und dachte bestimmt, dass Anderl bereits frei war. Vielleicht konnte er ja damit leben, dass sie nun irgendwo eine andere, hoffentlich bessere Zukunft fand, aber dieses letzte Versprechen nicht halten zu können, das brach ihm fast das Herz.
Als er sich gerade wieder abwenden wollte, sah er aus dem Augenwinkel, wie der blonde Wirt der Brauerei auf die Straße trat und in der Menge verschwand.
Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm auf. Vielleicht war Margit heute endlich anzutreffen. Eilig lief er über den Platz und verschwand im Hinterhof des Anwesens. Malzgeruch empfing ihn, und eine Schar neugieriger Hühner kam ihm entgegen. Die Tür zur Küche war nur angelehnt. Langsam ging er darauf zu, doch dann ließ ihn ein sonderbares Geräusch plötzlich innehalten. Er drehte sich um und lauschte. Es klang wie leises Weinen. Stück für Stück suchte er den Hof ab.
»Ist da jemand?«, rief er in die seltsame Stille. Plötzlich glaubte er, ein Klopfen zu hören, dem ersticktes Rufen folgte.
Das Geräusch schien aus dem Brunnen zu kommen.
Eilig rannte er darauf zu und blickte hinein.
Und da lag sie, Margit. Er hatte sie gefunden.
F assungslos blickte sich Marianne in ihrem Zelt um, aus dem gerade zwei Knechte die letzte Kleidertruhe hinaustrugen. Die Freundin war noch nicht beerdigt, doch hier schien sie bereits ausgelöscht zu sein. Ihr Leben wurde fortgewischt wie ein Staubkorn. Weinend sank Marianne auf den Boden und schlug die Hände vor das Gesicht. Noch immer sah sie Helenes Blick und hörte die letzten Laute, die sie von sich gegeben hatte. Er hatte sie umgebracht, einfach so getötet. Sie konnte es nicht fassen. Eben noch hatten sie hier nebeneinandergelegen, hatten gelacht und sich Geschichten erzählt, und jetzt war die geliebte Freundin für immer fort. Endlich hatte es in ihrem Leben einen Menschen gegeben, der sie gernhatte, dem sie vertrauen konnte. Sie hatten sich doch erst gefunden, es konnte nicht zu Ende sein.
»Da bist du ja.« Eugenies Stimme riss sie aus ihrer Verzweiflung. Die Französin kam auf sie zu.
»Es tut mir so leid, ma chère. Wir sind alle …« Sie suchte nach dem passenden Wort und fand es nicht. Marianne erhob sich und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Entsetzt«, beendete sie Eugenies Satz.
»Richtig, entsetzt. Die arme Helene, Gott sei ihrer Seele gütig.«
»Gnädig«, verbesserte Marianne erneut.
Eugenie zog eine Grimasse.
»Ich bin eine Tölpel. Nicht einmal trösten kann ich gut.«
Marianne versuchte zu lächeln.
»Doch, doch, du machst das sehr gut.«
Eugenie neigte den Kopf.
»Anna Margarethe ist untröstlich. Sie wollen dich sehen, sofort.«
Marianne seufzte.
»Das auch noch.«
Eugenie riss verwundert die Augen auf.
»Mon amie, sie ist nicht böse, wird nicht schimpfen. Alles gut. Wir sind froh, dass es dir bessergehen.«
»Gutgeht«, erwiderte Marianne.
Eugenie schürzte die Lippen. »Ich werde niemals richtig lernen, diese Sprache.«
»Doch, das wirst du«, erwiderte Marianne. Die Französin hatte es mit ihrer drolligen Art zu sprechen tatsächlich geschafft, dass der eisige Griff der Verzweiflung gewichen war und sie endlich wieder freier atmen konnte.
»Na, dann lass uns zu Anna Margarethe hinübergehen, damit wir es schnell hinter uns haben«, sagte sie.
Anna Margarethe saß auf einem
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