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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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erreicht. Grauenvoll musste dort gewütet worden sein, und sogar die Salzburger Enklave Mühldorf war besetzt worden.
    Er kletterte auf den Steg und gab dem Fährmann eine Münze.
    »Hast ja recht, Willi. Eigentlich müsste es mir gutgehen, aber vielleicht war es etwas zu viel in der letzten Zeit.« Der Fährmann warf dem Abt einen kritischen Blick zu.
    »In den letzten Jahren meint Ihr wohl, mein Freund.«
    Pater Franz musterte Willi genauer. Auch er hatte sich verändert und war nicht mehr der braungebrannte, vor Kraft strotzende Mann von früher. Von Falten umgeben, lagen seine Augen tief in den Höhlen, seine Lippen waren schmal geworden, sein Haar war grau, und an einigen Stellen war sein Kopf bereits kahl. Das Einzige, was noch an den Mann erinnerte, den er vor vielen Jahren kennen- und schätzen gelernt hatte, waren die wachen blauen Augen.
    Der Abt schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter.
    »Wird schon weitergehen. Für uns alle.« Er versuchte, aufmunternd zu klingen, wusste er doch, dass Willi in den letzten Jahren seine ganze Familie verloren hatte. Der Letzte, der ihn verlassen hatte, war sein Sohn Quirin gewesen, der sich vor einigen Monaten dem Heer des Kurfürsten anschloss.
    Auf der anderen Seite des Ufers läutete die Glocke. Erneut wartete Kundschaft auf den Fährmann.
    Willi sprang zurück in sein Boot und löste das Seil.
    »Das war mein Zeichen«, sagte er und hob die Hand zum Gruß.
     
    Wenig später blieb Pater Franz seufzend auf der ehemaligen Pferdekoppel stehen und blickte auf die alten knorrigen Apfel- und Pflaumenbäume, die auf der von Gänseblümchen übersäten Wiese standen. Dahinter erhob sich das Haupthaus des Leitnerhofes oder das, was davon noch übrig war. Die Stallungen waren bis auf die Grundmauern abgebrannt, und Efeu und Brombeergestrüpp überwucherten die verkohlten Überreste.
    Er drehte sich um und blickte zu dem kleinen Fischweiher, der unweit des Hauses lag. Tatsächlich stand dort noch das bunte Bienenhaus, um das sich einst Pater Korbinian mit so viel Liebe gekümmert hatte. Jahrelang hatte das Kloster von hier seinen Honig bezogen, doch als die Brücke abgerissen worden und Pater Korbinian gestorben war, kam niemand mehr hierher, denn Räuberbanden trieben ihr Unwesen in den Wäldern Kielings, und Geschichten kursierten in der Stadt von unheimlichen Schreckgespenstern und grausamen Männern, die jeden erschlugen, der sich ihnen in den Weg stellte. An die vielen Wölfe, die hier oben durch die Wälder streiften, wollte er lieber gar nicht erst denken.
    Er ging zum Fischweiher hinunter und blickte in das trübe, leergefischte Wasser. Dicke Karpfen suchte man hier vergebens. Um das hölzerne Bienenhaus schwirrten die Bienen. Es grenzte an ein Wunder, dass es noch stand.
    Er öffnete mit ruhiger Hand den Deckel und schaute hinein.
    Viele Waben gab es nicht mehr, die meisten Bretter waren gestohlen worden, aber die Tiere hatten sich zwischen den Balken neue Nester angelegt, die wie dicke Polster in den Ecken und an den noch vorhandenen Platten hingen. Vorsichtig zog er eine Wabe heraus, schüttelte die Bienen ab, schloss den Deckel und setzte sich mit seiner Beute im Schatten einer großen Linde ins Gras. Eigentlich war Genusssucht eine Sünde, aber auch er war dünner geworden und hatte gelernt, was es bedeutete zu hungern.
    »Ihr stehlt meinen Honig«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Erschrocken drehte sich Pater Franz um.
    Lächelnd stand Pfarrer Angerer vor ihm. Der Abt atmete erleichtert auf.
    Der alte Pfarrer trat näher. Die Zeit hatte auch bei ihm ihre Spuren hinterlassen. Er ging inzwischen am Stock, sein Haar war weiß wie Schnee, und sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Stöhnend setzte er sich neben seinen Glaubensbruder auf einen umgefallenen Baumstamm und deutete zum Bienenstock hinüber.
    »Ich habe ihn wieder aufgebaut. Halb zerschlagen war er, und viele Platten sind verschwunden, aber die Bienen waren noch da.«
    Pater Franz lächelte.
    »Und ich dachte, er wäre nicht zerstört worden.«
    Pfarrer Angerer lachte, doch sein Lachen endete in einem heftigen Hustenanfall. Erst nach einigen Schlucken Wasser aus der Trinkflasche des Mönchs erholte er sich wieder.
    »Lang geht es nicht mehr gut.« Der Pfarrer klopfte auf seine Brust und nahm einen weiteren Schluck. »Jeder Atemzug brennt mir in der Brust. Die Lungen wollen nicht mehr.«
    Er sah den Abt müde an. »Aber wer will es der Lunge verübeln. Ich gewiss nicht. Ist ein Wunder,

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