Das Pestkind: Roman (German Edition)
beschwichtigend die Hände.
»Jeder hätte so gehandelt, auch ich.«
Erneut klopfte es an der Tür. Die ältere Frau, die sich um Margit kümmerte, blickte vorsichtig in den Raum. Erschrocken sahen die beiden Männer sie an. Noch nie hatte sie den Abt persönlich aufgesucht.
»Entschuldigt mein Eindringen«, sagte sie und neigte den Kopf. »Das Mädchen, Margit, erinnert sich wieder. Sie ist vorhin aufgewacht, und plötzlich hat sie ganz schrecklich zu weinen begonnen. Vom Brunnen hat sie erzählt und vom Josef, der sie umbringen wollte.«
Ungläubig starrten die beiden Männer die Frau eine Weile an. Pater Franz war der Erste, der sich wieder fing. Sofort eilte er zur Tür.
»Aber das ist ja wunderbar«, rief er und rannte, gefolgt von Pater Johannes, aufgeregt den Flur hinunter.
*
Aufgewühlt lief Pater Franz zwei Tage später über den Inneren Markt. Es war ein stürmischer Novembertag. Am Horizont trotzten die ungewöhnlich klar erkennbaren Berge dem drohenden Wetterumschwung. Wie immer bei dieser Wetterlage plagten ihn Kopfschmerzen und Schwindel, die ihn heute Morgen so mitgenommen hatten, dass er es sich beinahe noch einmal überlegt hatte, dem neuen Richter, Constantin von Lichtenberg, seine Aufwartung zu machen. Aber Pater Johannes hatte ihn mit einem ordentlichen Schluck Branntwein und einem warmen Frühstück so weit wieder auf die Beine gebracht, dass er sich den Weg in die Stadt zutraute. Vorsichtshalber begleitete ihn aber ein junger Mönch.
Der neue Richter hatte die Wohnung im Gerichtsgebäude bezogen, die am Ende des Äußeren Marktes neben der Nikolauskirche lag und keinen besonders luxuriösen Eindruck machte. Am Eingang war lediglich ein großes Schild angebracht, das die Funktion des Gebäudes auswies, und über der Tür hing das kaiserliche Wappen.
Pater Franz wurde unsicher, als er das Gebäude erreichte. Auf dem Weg hierher war er noch guten Mutes gewesen, aber jetzt wusste er nicht, was er zu dem neuen Richter überhaupt sagen wollte.
Vielleicht sollte er doch wieder umkehren und ein andermal zurückkommen, wenn er mehr Beweise vorlegen konnte. Doch er war heute ja nicht nur wegen Anderl hierhergekommen, sondern auch, um den neuen Amtmann in Rosenheim zu begrüßen, denn bisher hatte er jedem neuen Amtsrat, Richter oder Bürgermeister als Leiter des Kapuzinerklosters einen Antrittsbesuch abgestattet.
Er straffte die Schultern und klopfte an die Tür.
Nach einigen Minuten, die dem Geistlichen wie eine Ewigkeit vorkamen, wurde diese geöffnet.
Eine Frau mittleren Alters blickte mit ernster Miene durch einen Spalt nach draußen. Als sie erkannte, wer vor der Tür stand, lächelte sie.
»Ach, der Pater Franz ist es.« Sie öffnete die Tür. »Schön, Euch zu sehen. Wie geht es Euch denn?«
Der Abt freute sich über die freundliche Begrüßung.
»Grüß Gott, Fräulein Josefa.« Er reichte der Frau die Hand, die sie überschwänglich schüttelte.
»Die Freude liegt ganz auf meiner Seite. Es ist eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind«, antwortete sie.
Die Frau bat auch Pater Franz’ Begleiter, näher zu treten.
»Ihr kommt aber auch zu selten zu uns. Aber was sollte Euch dazu leiten, ein Gericht aufzusuchen. Einen Ort der Sünde.«
Den letzten Satz flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand.
Der junge Mönch blickte beschämt zu Boden, doch Pater Franz winkte ab.
»Dieses Haus ist auch nicht anders als all die anderen. Sündigen kann man überall. Hier wird Recht gesprochen, was nichts mit Sünde zu tun hat.«
»Wie weise Ihr doch seid.« Josefa deutete zur Treppe. »Aber Ihr seid gewiss nicht gekommen, um einer alten Haushälterin Eure Aufwartung zu machen. Ihr wollt bestimmt den neuen Richter kennenlernen.«
Pater Franz nickte.
Kurz darauf geleitete Josefa den Abt in einen gemütlich eingerichteten und wohlig warmen Raum. Vor drei großen Fenstern mit Butzenscheiben standen ein Esstisch und massive Bänke aus dunklem Holz, auf denen dicke rot-weiß karierte Sitzkissen zum Verweilen einluden. Ein blau gefliester Kachelofen stellte einen besonderen Blickfang dar. Dieser musste neu installiert worden sein, denn der Abt konnte sich nicht entsinnen, dieses Meisterwerk des Ofenbaus vorher schon einmal hier gesehen zu haben.
Josefa bemerkte seinen bewundernden Blick.
»Wunderschön ist der neue Ofen, nicht wahr? Er ist erst im letzten Jahr eingebaut worden.«
Der Abt nickte bewundernd.
»Ein Prachtstück. Wunderbar gearbeitet.«
Die Tür zum Nebenzimmer
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