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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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schmolzen. In der Ferne ließen sich die weißen Gipfel der Berge erahnen. Der Winter zeigte dieses Jahr bereits sehr früh sein hässliches Gesicht. Die letzten Flüchtlinge aus Salzburg waren weitergezogen. Der eine oder andere Reisende hatte bei ihnen vor dem Wetter und den Räuberbanden Zuflucht gesucht, aber seit einigen Tagen hatte sich die winterliche Ruhe wie ein Mantel über sie gelegt. Er genoss es, wenn es um diese Jahreszeit stiller wurde und weniger zu erledigen war, denn dann blieb ihm mehr Zeit für seine Kanzleiarbeiten und zum Beantworten der Briefe. So viele Schreiben seiner Glaubensbrüder aus den anderen Klöstern waren bei ihm eingetroffen, und auch den Brief von Maurus musste er noch beantworten. Er wandte sich vom Fenster ab und blickte auf den großen Stapel, der neben seiner Feder und dem Tintenfass auf dem Schreibtisch lag, doch ihm fehlte die Kraft zum Schreiben. Er schlief kaum noch und verbrachte viele Nächte in Zwiesprache mit Gott in der Kapelle.
    Tagsüber saß er oft bei Margit. Der jungen Frau ging es von Tag zu Tag besser. Sie zog beim Gehen ein Bein nach, und der Medikus meinte, diese Einschränkung würde den Rest ihres Lebens so bleiben, doch ansonsten ging es ihr gut. Sie aß mit kräftigem Appetit und lächelte sogar wieder. Nur erinnern konnte sie sich weiterhin nicht. Einmal war er sogar mit ihr nach Rosenheim gegangen und hatte sie über den Marktplatz geführt, doch geholfen hatte es nichts. Immer mehr schwand seine Hoffnung. Schweren Herzens besuchte er weiterhin Anderl. Meistens saßen sie schweigend nebeneinander.
    Der Junge war inzwischen nur noch Haut und Knochen, und seit einigen Wochen plagte ihn ein schrecklicher Husten. Wenn ihn nicht der Galgen umbrachte, dann würde er gewiss bald an einer Lungenentzündung sterben.
    Er setzte sich seufzend an seinen Schreibtisch, griff nach dem ersten Brief und öffnete ihn. Als er gerade zu lesen begann, klopfte es an der Tür, und Pater Johannes blickte herein.
    »Störe ich?«, fragte er. Der Abt schüttelte den Kopf und bedeutete seinem Freund, näher zu treten.
    »Du störst mich doch nie.« Er versuchte zu lächeln. Pater Johannes trat an den Tisch und deutete auf den Berg von Papier.
    »Du wirst doch nicht endlich deine Briefe beantworten?«
    »Irgendwann muss ich es ja angehen. Es gibt auch noch viele andere Dinge, die wir vor dem Winter erledigen müssen. Der Ziegenstall muss repariert werden, das Dach ist undicht, und einige der Fensterläden hängen nur noch lose in den Angeln. Die vielen Gewitterstürme haben ihnen arg zugesetzt.«
    Pater Johannes winkte ab und setzte sich seinem Freund gegenüber.
    »Darum habe ich mich doch schon längst gekümmert. Morgen früh kommt Ludwig Thalhammer und wird den Stall reparieren und die Scharniere der Läden erneuern.«
    Verdutzt sah Pater Franz seinen Freund an. Johannes hatte noch nie Arbeiten angeordnet, ohne Rücksprache mit ihm zu halten.
    »Warum hast du mir nicht davon berichtet?«
    Johannes atmete tief durch.
    »Weil ich dich nicht auch noch mit alltäglichen Dingen belasten wollte, sehe ich doch jeden Tag, wie sehr du dich quälst. Du schläfst und isst kaum noch, verbringst viele Stunden bei Margit oder läufst grübelnd durch die Gänge.«
    Pater Franz lehnte sich zurück und faltete seine Hände.
    »Ist es wirklich so schlimm mit mir geworden?«
    Johannes sah seinem Freund ernst in die Augen.
    »Du hast getan, was du konntest. Mehr ist nicht möglich. Anderls Schicksal liegt in Gottes Hand.«
    Pater Franz erwiderte den Blick.
    »Ich weiß, aber irgendeine Möglichkeit wird sich doch noch finden können. Etwas, woran ich mich festhalten kann. Anderl darf einfach nicht hingerichtet werden.«
    »Ich habe übrigens Neuigkeiten.« Pater Johannes wechselte das Thema. »Der neue Richter ist heute in der Stadt eingetroffen und wird bereits morgen seine Amtsgeschäfte aufnehmen.«
    »Ich habe mich ohnehin schon gefragt, warum es so lange gedauert hat«, erwiderte Pater Franz. »Immerhin ist der Tod von Richter Bichler bereits drei Wochen her. Also läuft dieser Aufschub nun auch ab, denn August Stanzinger wird gewiss alles dafür tun, den Prozess schnellstmöglich beginnen zu lassen.«
    Pater Johannes nickte zustimmend.
    »Das befürchte ich auch. Besonders seit er weiß, dass du seine Neigungen kennst.«
    Pater Franz begann, im Raum auf und ab zu gehen.
    »Ich weiß, das war nicht richtig von mir, aber ich konnte in diesem Moment einfach nicht anders.«
    Pater Johannes hob

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