Das Pestkind: Roman (German Edition)
Freund von mir lebt dort. Er ist Schmied und hat eine Frau und viele Kinder, gewiss kann ich bei ihm bleiben, bis ich eine Anstellung gefunden habe.«
Marianne sah Petronella flehend an.
»Ich will nicht allein laufen, ich fürchte mich davor. Überall sind Räuberbanden, besonders am Fluss.«
Petronella winkte ab.
»Du wirst das schaffen. Sieh nur« – sie deutete auf den grünen Strom –, »du bist bis hierhergekommen, und Gott hat immer seine schützenden Hände über dich gehalten.«
Marianne erkannte, dass sie die alte Frau nicht umstimmen konnte.
»Ein Schmied also.«
»Ein Schmied«, bestätigte Petronella.
»Na gut, dann trennen sich hier also unsere Wege.«
»Ja, so ist es«, sagte Petronella und drückte Marianne fest an sich.
Marianne schloss die Augen. In diesem Moment wurde sie sich klar darüber, der alten Frau Glück gebracht zu haben. Wäre sie nicht gewesen, dann wäre Petronella als Hexe gestorben. Das machte ihr plötzlich Mut, denn zum ersten Mal seit langem hatte sie das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben.
»Auf Wiedersehen, Petronella«, sagte sie, Tränen in den Augen, und löste sich aus der Umarmung. »Du wirst mir fehlen.«
In Petronellas Augen schimmerten ebenfalls Tränen.
Mahnend hob sie den Zeigefinger, und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Und nimm dich vor Bratpfannen in Acht.«
Marianne nickte lachend.
»Das mache ich, versprochen.«
Petronella legte ihre Hände um Mariannes Kopf und küsste sie auf die Stirn.
»Gott beschütze dich.«
Sie drehte sich um und schlug den Weg flussabwärts ein.
Marianne winkte so lange, bis Petronella hinter der nächsten Biegung verschwunden war, und blickte dann traurig über den Fluss. Es hatte erneut zu schneien begonnen, und dicke weiße Flocken fielen ins grünen Wasser. Seufzend griff sie nach ihrem Beutel und machte sich auf den Weg flussaufwärts.
Die Trauer über den Abschied von Petronella verflog schnell. Sie genoss es, am Ufer des Inns entlangzulaufen, und beobachtete die Boote, die an ihr vorüberzogen. Nach einer Weile kam sogar die Sonne heraus und ließ das Wasser funkeln. Sie hatte es geschafft, hatte endlich den Fluss erreicht. Ab jetzt würde alles gutgehen.
Am späten Nachmittag zog die herbstliche Dämmerung schnell herauf, und Nebelschwaden legten sich über die Weiden und Büsche am Ufer. Marianne rieb sich fröstelnd die Arme. Sie musste sich Gedanken darüber machen, wo sie die Nacht verbringen würde. Sie entfernte sich ein Stück vom Ufer und lief durch ein kleines Wäldchen. Der Boden war feucht und matschig, und schnell waren ihre Schuhe voller Schlamm und durchweicht. Es roch nach verfaultem Gras und brackigem Wasser. Am Ende des Wäldchens lag ein freies Feld, hinter dem Tannen in die Höhe ragten. Vielleicht würde sich dort ein trockener Platz für die Nacht finden, dachte Marianne.
Unter den Tannen war es düster, und der weiche Waldboden war ebenfalls feucht. Langsam verließ sie der neu gefasste Mut, und das Dämmerlicht jagte ihr Angst ein. Im Unterholz knackte es, und der Wind heulte in den Baumwipfeln. Sie zog ihren Umhang enger um sich und kroch durchs Unterholz. Allzu weit wollte sie sich nicht vom Fluss entfernen. Sie überquerte einen kleinen Bachlauf und kletterte einen steilen Hang hinauf. Doch als sie oben ankam, erstarrte sie, denn sie blickte auf ein Paar Männerschuhe.
P ater Franz lief die Färbergasse hinunter. Er war auf dem Weg zu seinem Freund Paul, dem Färber und Stoffhändler, der schwer krank darniederlag. Das Wetter passte zu diesem traurigen Anlass, denn es nieselte, und dicke Wolken verhüllten die Berge, von denen man nur die schneebedeckten Gipfel erkennen konnte. In der engen Gasse war trotzdem Hochbetrieb. Fuhrwerke ratterten an ihm vorbei, und Frauen, Wäschekörbe unter dem Arm, musterten ihn neugierig. Kinder mit schmutzigen, eingefallenen Gesichtern rannten durch die Pfützen oder saßen am Straßenrand und starrten ihn. Er versuchte, ihre traurigen Augen, die um etwas zu essen flehten, genauso zu ignorieren wie den Uringeruch und den beißenden Gestank der Färbemittel, der hier aus jedem Hof aufstieg und sich in die Häuser und schäbigen Hütten hineingefressen hatte.
Der Krieg war vorbei, doch die Armut blieb. Selbst in Rosenheim, das glimpflich davongekommen war, würden diesen Winter die Menschen sterben wie die Fliegen.
Am oberen Ende der Färbergasse lag das Anwesen seines Freundes. Die weitläufige Anlage mit mehreren
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