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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Husten frisst mich auf. Alles brennt wie Feuer in mir, und nichts kann mir noch helfen. Auch dem Medikus gestatte ich schon lange nicht mehr, mich zur Ader zu lassen.« Er deutete auf seine Arme, die mit rote Narben überzogen waren.
    Mitleidig sah Pater Franz seinen Freund an.
    Doch dieser winkte ab.
    »Für uns alle kommt irgendwann das Ende.« Er blickte sich seufzend um. »Hier komme ich nicht mehr raus, aber was will ich klagen. Gott hat mir ein erfülltes Leben geschenkt, nicht wahr?«
    Pater Franz nickte.
    »Ich habe wunderbare Söhne, und Hans wird den Betrieb weiterführen. Er ist ein guter Junge.«
    Er drehte sich zur Seite, öffnete seine Nachttischschublade und zog ein zerknittertes Papier heraus.
    »Er hat mir geschrieben, aus Florenz. Bald wird er hier sein.«
    Er hielt den Brief dem Mönch hin. Pater Franz griff danach und überflog die Zeilen, die in gestochen scharfer Schrift geschrieben waren.
    »Hans war schon immer ein guter Junge.« Er legte das Schreiben zurück in die Schublade.
    »Ja, das ist er. Er hat sogar von einem Mädchen erzählt. Er will sie mitbringen. Viola ist ihr Name, sie soll sehr hübsch sein.« Sein Gesichtsausdruck wurde plötzlich wehmütig.
    »Ich hätte so gern meine Enkelkinder erlebt.«
    Der Mönch legte seine Hand auf die des Freundes.
    »Du wirst sie sehen, ganz bestimmt.«
    Der Färber lächelte.
    »Ihr Mönche seid so fest verankert in eurem Glauben. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich Angst. Was wird kommen?«
    Pater Franz zuckte mit den Schultern.
    »Diese Frage kann nur Gott beantworten.«
    Ein weiterer Anfall schüttelte den Kranken. Der Husten klang trocken, und es rasselte in Pauls Brust. Erneut reichte Pater Franz seinem Freund den Becher und half ihm beim Trinken.
    Als sich der Färber wieder beruhigt hatte, musterte er den Mönch neugierig. Ihm entgingen nicht die Sorgenfalten auf der Stirn seines Freundes.
    »Was ist los?«, fragte er freiheraus.
    Der Abt zuckte zusammen. Selbst am Sterbebett konnte er Paul nichts vormachen.
    »Geht es um das Mädchen?«
    Der Mönch schüttelte seufzend den Kopf.
    »Nein, es ist Anderl, um den ich mir Sorgen mache. Er sitzt noch immer im Gefängnis, und in drei Tagen ist der Prozess. Wenn ich bis dahin keinen Zeugen finde, dann wird er für eine Tat hingerichtet, die er nicht begangen hat.«
    Plötzlich wurde seine Stimme lauter, und er ließ seiner Verzweiflung freien Lauf.
    »Ich habe Marianne versprochen, dem Jungen zu helfen, und jetzt sind mir die Hände gebunden. Alles, was ich versuche, geht schief. Es ist, als hätten sich das Schicksal und Gott gegen mich verschworen.«
    Paul sah seinen Freund mitleidig an.
    »Manchmal kann man die Dinge nicht ändern«, tröstete der Färber den Pater.
    Wütend sprang der Mönch auf, riss die Vorhänge zur Seite und blickte in den Hof hinunter.
    »Aber sie müssen sich ändern lassen. Der Junge ist unschuldig, das weiß ich genau. August Stanzinger ist ein Mann der Sünde und darf nicht gewinnen.«
    Paul sah ihn verwundert an. So impulsiv kannte er Franz nicht. Die beiden schwiegen nach diesem Gefühlsausbruch. Die Kerze flackerte auf dem Nachttisch, und Wachs tropfte auf den winzigen Teller, auf dem sie stand.
    »Und wenn du ihn mit seinen eigenen Waffen schlägst?«, fragte Paul.
    Der Abt sah den Färber verwundert an.
    »Wie meinst du das?«
    In Pauls Augen blitzte der alte Schalk auf, den der Mönch immer so an ihm geliebt hatte.
    »Was wäre, zum Beispiel, wenn der Junge aus dem Gefängnis fliehen würde?«
    Entsetzt sah der Geistliche seinen Freund an.
    »Und wie soll das möglich sein?«
    Paul grinste.
    »Ich denke, dir wird etwas einfallen.«
    *
    Drei Tage später stand Pater Franz in Anderls Zelle und half dem Jungen dabei, sich umzuziehen. Er hatte ihm frische Kleidung mitgebracht und knöpfte fürsorglich das Hemd zu. Seine Hände zitterten, denn in der winzigen Kammer war es eiskalt. In Anderls Brust rasselte es, und seine Nase lief. Er war blass, und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Notdürftig hatte der Priester sein verfilztes Haar, in dem sich massenhaft Läuse tummelten, gewaschen und frisiert. Anderl hatte alles wortlos über sich ergehen lassen. Seit Wochen hatte er nicht mehr mit dem Abt gesprochen, und die Stille in der Zelle fraß Pater Franz’ Seele mehr und mehr auf. Doch tapfer besuchte er den Jungen ein Mal in der Woche, setzte sich zu ihm und starrte schweigend vor sich hin. Auf dem Tisch und der Fensterbank standen noch immer die Strohtiere, die

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