Das Pestkind: Roman (German Edition)
ihr Bündel auf und zog ein Stück von dem Brot heraus, das ihr Petronella am Morgen eingepackt hatte. Unter den Regen mischten sich erste Schneeflocken. Der milde Südwind war einer unangenehmen Kälte gewichen. Marianne kannte dieses Phänomen. Wie oft hatten zu dieser Jahreszeit die Tage warm und mild begonnen, um kalt und mit Schnee zu enden.
Plötzlich wurde die Tür des Gebäudes geöffnet und Petronella herausgeführt. Marianne hatte gerade einen Schluck Wasser getrunken und verschluckte sich. Innerlich fluchend versuchte sie, einen Hustenanfall zu unterdrücken. Sie steckte die Flasche zurück in den Beutel und folgte der kleinen Gruppe, die in einer engen Gasse verschwunden war.
Gerade noch rechtzeitig sah sie, dass Petronella in einen Holzschuppen gebracht wurde. Schnell duckte sie sich in die Nische eines Eingangs, als einer der Männer in ihre Richtung blickte. Ihr Herz schlug ihr vor Aufregung bis in den Hals. Was sie hier vorhatte, war verrückt, denn wenn sie sie erwischten, würde sie genauso wie Petronella auf dem Scheiterhaufen landen. Die Männer entfernten sich, nur einer blieb und setzte sich grummelnd unter das winzige Vordach.
Marianne fluchte. Natürlich stellten sie einen Wachposten auf. Wie hatte sie nur einen Moment daran glauben können, dass es einfach werden würde.
Der Mann zog eine Pfeife aus seiner Hemdtasche und zündete diese an einer kleinen Laterne an, die neben ihm auf dem Boden stand. Marianne beobachtete ihn von ihrem Versteck aus und grübelte, wie sie am besten an ihm vorbeikäme.
Irgendwann hielt sie es in der engen Nische nicht mehr aus und schlich langsam näher. Kurz bevor sie den Schuppen erreichte, bemerkte sie, dass dieser nicht direkt an die nächste Hauswand grenzte. Sie zwängte sich in den engen Durchgang, drückte sich an der hölzernen Wand entlang und hoffte inständig, der Wachposten würde ihre Schritte, die ihr auf dem matschigen Untergrund schrecklich laut vorkamen, nicht hören.
Hinter der Hütte holte sie tief Luft und blickte sich neugierig um. Sie stand auf dem freien Feld, dahinter begann der Wald. Es hatte zu regnen aufgehört, zwischen den dicken Wolken waren vereinzelt die Sterne zu erkennen.
Marianne drehte sich um und prüfte die Bretterwand. Diese wirkte stabil und schien erst vor kurzem errichtet worden zu sein. Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. Als sie gesehen hatte, wo die Männer Petronella eingesperrt hatten, hatte sie gehofft, die Freundin befreien zu können. Jeder Schuppen hatte irgendwo in der Wand ein loses Brett, jedenfalls die meisten, die sie kannte. Hoffnungsvoll tastete sie die Wand ab, lief um den Schuppen herum und zwängte sich auf der anderen Seite erneut in den schmalen Durchgang zwischen Hausmauer und Holzwand. Hier wurde sie fündig, zwei der Latten saßen locker.
Sie begann, vorsichtig dagegenzudrücken, und tatsächlich gaben sie nach innen nach.
»Wer ist da?«, hörte sie Petronella fragen.
»Ich bin es, Marianne. Ich will dich hier rausholen. Die Holzlatte ist locker, du musst mir helfen, sie zu bewegen.«
»Marianne, Kind! Was, um Himmels willen, tust du denn hier? Mach lieber, dass du fortkommst, bevor sie dich finden.«
»Niemand wird mich erwischen. Du sollst mir jetzt helfen und mich nicht fortschicken«, sagte Marianne, um Petronella zu beruhigen.
»Ich würde dir ja gern helfen, aber meine Hände sind gefesselt.«
»Ist da jemand?«
Mariannes Atem stockte. Jetzt war der Wachposten doch auf sie aufmerksam geworden. Sie duckte sich und lief um die Ecke zurück auf die Rückseite des Schuppens, schloss die Augen und hielt den Atem an. Doch nichts passierte. Keine Schritte kamen näher, niemand sagte etwas.
Nach einer Weile schlich sie wieder zurück, rüttelte erneut an den Latten und versuchte, die lockeren Nägel zu lösen.
Petronella stand auf der anderen Seite.
»Er ist schon misstrauisch«, flüsterte sie. »Verschwinde lieber, Mädchen. Was kümmert dich eine alte Frau. Geh zum Fluss und nach Hause. Mein Schicksal ist besiegelt.«
»Gar nichts ist besiegelt«, zischte Marianne. Langsam wurde sie wütend. »Die Holzlatte gibt gleich nach, und dann kannst du fliehen.«
Ein letztes Mal zerrte sie an dem Stück Holz, endlich lösten sich die Nägel auf der Unterseite, und sie konnte die Latte beiseiteschieben. Der Spalt war nicht besonders groß, aber eine schmale Person wie Petronella konnte sich hindurchzwängen. Die beiden schlichen hinter die Hütte. Petronella sah Marianne
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